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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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wie er es mit jenem so oft gemißdeuteten Romane
eigentlich gemeint hat.

Wir sprachen darauf über Tieck und dessen persön¬
liche Stellung zu Goethe.

"Ich bin Tiecken herzlich gut, sagte Goethe, und
er ist auch im Ganzen sehr gut gegen mich gesinnt;
allein es ist in seinem Verhältniß zu mir doch etwas,
wie es nicht seyn sollte. Und zwar bin ich daran nicht
Schuld, und er ist es auch nicht, sondern es hat seine
Ursachen anderer Art."

"Als nämlich die Schlegel anfingen bedeutend zu
werden, war ich ihnen zu mächtig, und um mich zu
balanciren, mußten sie sich nach einem Talent umsehen,
das sie mir entgegenstellten. Ein solches fanden sie in
Tieck, und damit er mir gegenüber in den Augen des
Publicums genugsam bedeutend erscheine, so mußten sie
mehr aus ihm machen, als er war. Dieses schadete
unserm Verhältniß; denn Tieck kam dadurch zu mir,
ohne es sich eigentlich bewußt zu werden, in eine schiefe
Stellung."

"Tieck ist ein Talent von hoher Bedeutung und es
kann seine außerordentlichen Verdienste niemand besser
erkennen als ich selber; allein wenn man ihn über ihn
selbst erheben und mir gleichstellen will, so ist man im
Irrthum. Ich kann dieses gerade heraussagen, denn
was geht es mich an, ich habe mich nicht gemacht. Es
wäre eben so, wenn ich mich mit Shakspeare verglei¬

wie er es mit jenem ſo oft gemißdeuteten Romane
eigentlich gemeint hat.

Wir ſprachen darauf uͤber Tieck und deſſen perſoͤn¬
liche Stellung zu Goethe.

„Ich bin Tiecken herzlich gut, ſagte Goethe, und
er iſt auch im Ganzen ſehr gut gegen mich geſinnt;
allein es iſt in ſeinem Verhaͤltniß zu mir doch etwas,
wie es nicht ſeyn ſollte. Und zwar bin ich daran nicht
Schuld, und er iſt es auch nicht, ſondern es hat ſeine
Urſachen anderer Art.“

„Als naͤmlich die Schlegel anfingen bedeutend zu
werden, war ich ihnen zu maͤchtig, und um mich zu
balanciren, mußten ſie ſich nach einem Talent umſehen,
das ſie mir entgegenſtellten. Ein ſolches fanden ſie in
Tieck, und damit er mir gegenuͤber in den Augen des
Publicums genugſam bedeutend erſcheine, ſo mußten ſie
mehr aus ihm machen, als er war. Dieſes ſchadete
unſerm Verhaͤltniß; denn Tieck kam dadurch zu mir,
ohne es ſich eigentlich bewußt zu werden, in eine ſchiefe
Stellung.“

„Tieck iſt ein Talent von hoher Bedeutung und es
kann ſeine außerordentlichen Verdienſte niemand beſſer
erkennen als ich ſelber; allein wenn man ihn uͤber ihn
ſelbſt erheben und mir gleichſtellen will, ſo iſt man im
Irrthum. Ich kann dieſes gerade herausſagen, denn
was geht es mich an, ich habe mich nicht gemacht. Es
waͤre eben ſo, wenn ich mich mit Shakſpeare verglei¬

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[143/0163] wie er es mit jenem ſo oft gemißdeuteten Romane eigentlich gemeint hat. Wir ſprachen darauf uͤber Tieck und deſſen perſoͤn¬ liche Stellung zu Goethe. „Ich bin Tiecken herzlich gut, ſagte Goethe, und er iſt auch im Ganzen ſehr gut gegen mich geſinnt; allein es iſt in ſeinem Verhaͤltniß zu mir doch etwas, wie es nicht ſeyn ſollte. Und zwar bin ich daran nicht Schuld, und er iſt es auch nicht, ſondern es hat ſeine Urſachen anderer Art.“ „Als naͤmlich die Schlegel anfingen bedeutend zu werden, war ich ihnen zu maͤchtig, und um mich zu balanciren, mußten ſie ſich nach einem Talent umſehen, das ſie mir entgegenſtellten. Ein ſolches fanden ſie in Tieck, und damit er mir gegenuͤber in den Augen des Publicums genugſam bedeutend erſcheine, ſo mußten ſie mehr aus ihm machen, als er war. Dieſes ſchadete unſerm Verhaͤltniß; denn Tieck kam dadurch zu mir, ohne es ſich eigentlich bewußt zu werden, in eine ſchiefe Stellung.“ „Tieck iſt ein Talent von hoher Bedeutung und es kann ſeine außerordentlichen Verdienſte niemand beſſer erkennen als ich ſelber; allein wenn man ihn uͤber ihn ſelbſt erheben und mir gleichſtellen will, ſo iſt man im Irrthum. Ich kann dieſes gerade herausſagen, denn was geht es mich an, ich habe mich nicht gemacht. Es waͤre eben ſo, wenn ich mich mit Shakſpeare verglei¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/163>, abgerufen am 27.04.2024.