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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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der Alba als unersättlich in Rache und Schadenfreude
darstellen. Ich protestirte jedoch und die Figur blieb
weg. Er war ein wunderlicher großer Mensch."

"Alle acht Tage war er ein Anderer und ein Voll¬
endeterer; jedesmal wenn ich ihn wiedersah, erschien er
mir vorgeschritten in Belesenheit, Gelehrsamkeit und
Urtheil. Seine Briefe sind das schönste Andenken, das
ich von ihm besitze, und sie gehören mit zu dem Vor¬
trefflichsten, was er geschrieben. Seinen letzten Brief
bewahre ich als ein Heiligthum unter meinen Schätzen."
Goethe stand auf und holte ihn. "Da sehen und lesen
Sie", sagte er, indem er mir ihn zureichte.

Der Brief war schön und mit kühner Hand ge¬
schrieben. Er enthielt ein Urtheil über Goethe's Anmer¬
kungen zu Rameau's Neffen, welche die französische Li¬
teratur jener Zeit darstellen, und die er Schillern in
Manuscript zur Ansicht mitgetheilt hatte. Ich las den
Brief Riemern vor. "Sie sehen, sagte Goethe, wie
sein Urtheil treffend und beysammen ist, und wie die
Handschrift durchaus keine Spur irgend einer Schwäche
verräth. -- Er war ein prächtiger Mensch und bey
völligen Kräften ist er von uns gegangen. Dieser
Brief ist vom 24. April 1805. -- Schiller starb am
9. May."

Wir betrachteten den Brief wechselsweise und freu¬
ten uns des klaren Ausdrucks wie der schönen Hand¬
schrift, und Goethe widmete seinem Freunde noch man¬

der Alba als unerſaͤttlich in Rache und Schadenfreude
darſtellen. Ich proteſtirte jedoch und die Figur blieb
weg. Er war ein wunderlicher großer Menſch.“

„Alle acht Tage war er ein Anderer und ein Voll¬
endeterer; jedesmal wenn ich ihn wiederſah, erſchien er
mir vorgeſchritten in Beleſenheit, Gelehrſamkeit und
Urtheil. Seine Briefe ſind das ſchoͤnſte Andenken, das
ich von ihm beſitze, und ſie gehoͤren mit zu dem Vor¬
trefflichſten, was er geſchrieben. Seinen letzten Brief
bewahre ich als ein Heiligthum unter meinen Schaͤtzen.“
Goethe ſtand auf und holte ihn. „Da ſehen und leſen
Sie“, ſagte er, indem er mir ihn zureichte.

Der Brief war ſchoͤn und mit kuͤhner Hand ge¬
ſchrieben. Er enthielt ein Urtheil uͤber Goethe's Anmer¬
kungen zu Rameau's Neffen, welche die franzoͤſiſche Li¬
teratur jener Zeit darſtellen, und die er Schillern in
Manuſcript zur Anſicht mitgetheilt hatte. Ich las den
Brief Riemern vor. „Sie ſehen, ſagte Goethe, wie
ſein Urtheil treffend und beyſammen iſt, und wie die
Handſchrift durchaus keine Spur irgend einer Schwaͤche
verraͤth. — Er war ein praͤchtiger Menſch und bey
voͤlligen Kraͤften iſt er von uns gegangen. Dieſer
Brief iſt vom 24. April 1805. — Schiller ſtarb am
9. May.“

Wir betrachteten den Brief wechſelsweiſe und freu¬
ten uns des klaren Ausdrucks wie der ſchoͤnen Hand¬
ſchrift, und Goethe widmete ſeinem Freunde noch man¬

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[198/0218] der Alba als unerſaͤttlich in Rache und Schadenfreude darſtellen. Ich proteſtirte jedoch und die Figur blieb weg. Er war ein wunderlicher großer Menſch.“ „Alle acht Tage war er ein Anderer und ein Voll¬ endeterer; jedesmal wenn ich ihn wiederſah, erſchien er mir vorgeſchritten in Beleſenheit, Gelehrſamkeit und Urtheil. Seine Briefe ſind das ſchoͤnſte Andenken, das ich von ihm beſitze, und ſie gehoͤren mit zu dem Vor¬ trefflichſten, was er geſchrieben. Seinen letzten Brief bewahre ich als ein Heiligthum unter meinen Schaͤtzen.“ Goethe ſtand auf und holte ihn. „Da ſehen und leſen Sie“, ſagte er, indem er mir ihn zureichte. Der Brief war ſchoͤn und mit kuͤhner Hand ge¬ ſchrieben. Er enthielt ein Urtheil uͤber Goethe's Anmer¬ kungen zu Rameau's Neffen, welche die franzoͤſiſche Li¬ teratur jener Zeit darſtellen, und die er Schillern in Manuſcript zur Anſicht mitgetheilt hatte. Ich las den Brief Riemern vor. „Sie ſehen, ſagte Goethe, wie ſein Urtheil treffend und beyſammen iſt, und wie die Handſchrift durchaus keine Spur irgend einer Schwaͤche verraͤth. — Er war ein praͤchtiger Menſch und bey voͤlligen Kraͤften iſt er von uns gegangen. Dieſer Brief iſt vom 24. April 1805. — Schiller ſtarb am 9. May.“ Wir betrachteten den Brief wechſelsweiſe und freu¬ ten uns des klaren Ausdrucks wie der ſchoͤnen Hand¬ ſchrift, und Goethe widmete ſeinem Freunde noch man¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/218>, abgerufen am 26.04.2024.