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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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war und dort in mäßigen Umständen lebte. Aus meines
Vaters zweyter Ehe waren vor mir zwey Schwestern
aufgewachsen, die, als ich mein zwölftes Jahr erreicht,
bereits das väterliche Haus verlassen hatten und theils
im Orte theils in Hamburg dienten.

Die Hauptquelle des Unterhaltes unserer kleinen Fa¬
milie war eine Kuh, die uns nicht allein zu unserm täg¬
lichen Bedarf mit Milch versah, sondern von der wir
auch jährlich ein Kalb mästen und außerdem zu gewissen
Zeiten für einige Groschen Milch verkaufen konnten. Fer¬
ner besaßen wir einen Acker Land, der uns die nöthigen
Gemüsearten für das Bedürfniß des Jahres gewinnen
ließ. Korn zu Brod indeß und Mehl für die Küche mu߬
ten wir kaufen.

Meine Mutter hatte eine besondere Geschicklichkeit im
Wollspinnen; auch schnitt und nähete sie die bürgerlichen
Mützen der Frauenzimmer zu besonderer Zufriedenheit,
welches ihr denn beydes zur Quelle einiges Erwerbes
gereichte.

Meines Vaters eigentliches Geschäft dagegen war der
Betrieb eines kleinen Handels, der nach den verschiedenen
Jahreszeiten variirte und ihn veranlaßte häufig von Haus
abwesend zu seyn und in der Umgegend viel zu Fuße
umherzuschweifen. Im Sommer sah man ihn, mit einem
leichten hölzernen Schränkchen auf dem Rücken, in der
Haidegegend von Dorf zu Dorf wandern und mit Band,
Zwirn und Seide hausiren gehen. Zugleich kaufte er hier

war und dort in maͤßigen Umſtaͤnden lebte. Aus meines
Vaters zweyter Ehe waren vor mir zwey Schweſtern
aufgewachſen, die, als ich mein zwoͤlftes Jahr erreicht,
bereits das vaͤterliche Haus verlaſſen hatten und theils
im Orte theils in Hamburg dienten.

Die Hauptquelle des Unterhaltes unſerer kleinen Fa¬
milie war eine Kuh, die uns nicht allein zu unſerm taͤg¬
lichen Bedarf mit Milch verſah, ſondern von der wir
auch jaͤhrlich ein Kalb maͤſten und außerdem zu gewiſſen
Zeiten fuͤr einige Groſchen Milch verkaufen konnten. Fer¬
ner beſaßen wir einen Acker Land, der uns die noͤthigen
Gemuͤſearten fuͤr das Beduͤrfniß des Jahres gewinnen
ließ. Korn zu Brod indeß und Mehl fuͤr die Kuͤche mu߬
ten wir kaufen.

Meine Mutter hatte eine beſondere Geſchicklichkeit im
Wollſpinnen; auch ſchnitt und naͤhete ſie die buͤrgerlichen
Muͤtzen der Frauenzimmer zu beſonderer Zufriedenheit,
welches ihr denn beydes zur Quelle einiges Erwerbes
gereichte.

Meines Vaters eigentliches Geſchaͤft dagegen war der
Betrieb eines kleinen Handels, der nach den verſchiedenen
Jahreszeiten variirte und ihn veranlaßte haͤufig von Haus
abweſend zu ſeyn und in der Umgegend viel zu Fuße
umherzuſchweifen. Im Sommer ſah man ihn, mit einem
leichten hoͤlzernen Schraͤnkchen auf dem Ruͤcken, in der
Haidegegend von Dorf zu Dorf wandern und mit Band,
Zwirn und Seide hauſiren gehen. Zugleich kaufte er hier

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[4/0024] war und dort in maͤßigen Umſtaͤnden lebte. Aus meines Vaters zweyter Ehe waren vor mir zwey Schweſtern aufgewachſen, die, als ich mein zwoͤlftes Jahr erreicht, bereits das vaͤterliche Haus verlaſſen hatten und theils im Orte theils in Hamburg dienten. Die Hauptquelle des Unterhaltes unſerer kleinen Fa¬ milie war eine Kuh, die uns nicht allein zu unſerm taͤg¬ lichen Bedarf mit Milch verſah, ſondern von der wir auch jaͤhrlich ein Kalb maͤſten und außerdem zu gewiſſen Zeiten fuͤr einige Groſchen Milch verkaufen konnten. Fer¬ ner beſaßen wir einen Acker Land, der uns die noͤthigen Gemuͤſearten fuͤr das Beduͤrfniß des Jahres gewinnen ließ. Korn zu Brod indeß und Mehl fuͤr die Kuͤche mu߬ ten wir kaufen. Meine Mutter hatte eine beſondere Geſchicklichkeit im Wollſpinnen; auch ſchnitt und naͤhete ſie die buͤrgerlichen Muͤtzen der Frauenzimmer zu beſonderer Zufriedenheit, welches ihr denn beydes zur Quelle einiges Erwerbes gereichte. Meines Vaters eigentliches Geſchaͤft dagegen war der Betrieb eines kleinen Handels, der nach den verſchiedenen Jahreszeiten variirte und ihn veranlaßte haͤufig von Haus abweſend zu ſeyn und in der Umgegend viel zu Fuße umherzuſchweifen. Im Sommer ſah man ihn, mit einem leichten hoͤlzernen Schraͤnkchen auf dem Ruͤcken, in der Haidegegend von Dorf zu Dorf wandern und mit Band, Zwirn und Seide hauſiren gehen. Zugleich kaufte er hier

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/24>, abgerufen am 26.04.2024.