Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich machte vor einiger Zeit, eben bey jenen Unter¬
handlungen mit Buchhändlern, einen Fehler und es
that mir leid, daß ich ihn gemacht hatte. Jetzt aber
haben sich die Umstände so geändert, daß ich einen
großen Fehler begangen haben würde, wenn ich jenen
nicht gemacht hätte. Dergleichen wiederholt sich im
Leben häufig, und Weltmenschen, welche dieses wissen,
sieht man daher mit einer großen Frechheit und Drei¬
stigkeit zu Werke gehen."

Ich merkte mir diese Beobachtung, die mir neu
war. Ich brachte sodann das Gespräch auf einige sei¬
ner Werke und wir kamen auch auf die Elegie Alexis
und Dora.

"An diesem Gedicht, sagte Goethe, tadelten die
Menschen den starken leidenschaftlichen Schluß und ver¬
langten, daß die Elegie sanft und ruhig ausgehen solle,
ohne jene eifersüchtige Aufwallung; allein ich konnte
nicht einsehen, daß jene Menschen Recht hätten. Die
Eifersucht liegt hier so nahe und ist so in der Sache,
daß dem Gedicht etwas fehlen würde, wenn sie nicht
dawäre. Ich habe selbst einen jungen Menschen gekannt,
der in leidenschaftlicher Liebe zu einem schnell gewonne¬
nen Mädchen ausrief: aber wird sie es nicht einem an¬
dern eben so machen wie mir?"

Ich stimmte Goethen vollkommen bey und erwähnte
sodann der eigenthümlichen Zustände dieser Elegie, wo
in so kleinem Raum mit wenig Zügen alles so wohl

„Ich machte vor einiger Zeit, eben bey jenen Unter¬
handlungen mit Buchhaͤndlern, einen Fehler und es
that mir leid, daß ich ihn gemacht hatte. Jetzt aber
haben ſich die Umſtaͤnde ſo geaͤndert, daß ich einen
großen Fehler begangen haben wuͤrde, wenn ich jenen
nicht gemacht haͤtte. Dergleichen wiederholt ſich im
Leben haͤufig, und Weltmenſchen, welche dieſes wiſſen,
ſieht man daher mit einer großen Frechheit und Drei¬
ſtigkeit zu Werke gehen.“

Ich merkte mir dieſe Beobachtung, die mir neu
war. Ich brachte ſodann das Geſpraͤch auf einige ſei¬
ner Werke und wir kamen auch auf die Elegie Alexis
und Dora.

„An dieſem Gedicht, ſagte Goethe, tadelten die
Menſchen den ſtarken leidenſchaftlichen Schluß und ver¬
langten, daß die Elegie ſanft und ruhig ausgehen ſolle,
ohne jene eiferſuͤchtige Aufwallung; allein ich konnte
nicht einſehen, daß jene Menſchen Recht haͤtten. Die
Eiferſucht liegt hier ſo nahe und iſt ſo in der Sache,
daß dem Gedicht etwas fehlen wuͤrde, wenn ſie nicht
dawaͤre. Ich habe ſelbſt einen jungen Menſchen gekannt,
der in leidenſchaftlicher Liebe zu einem ſchnell gewonne¬
nen Maͤdchen ausrief: aber wird ſie es nicht einem an¬
dern eben ſo machen wie mir?“

Ich ſtimmte Goethen vollkommen bey und erwaͤhnte
ſodann der eigenthuͤmlichen Zuſtaͤnde dieſer Elegie, wo
in ſo kleinem Raum mit wenig Zuͤgen alles ſo wohl

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0249" n="229"/>
          <p>&#x201E;Ich machte vor einiger Zeit, eben bey jenen Unter¬<lb/>
handlungen mit Buchha&#x0364;ndlern, einen Fehler und es<lb/>
that mir leid, daß ich ihn gemacht hatte. Jetzt aber<lb/>
haben &#x017F;ich die Um&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;o gea&#x0364;ndert, daß ich einen<lb/>
großen Fehler begangen haben wu&#x0364;rde, wenn ich jenen<lb/>
nicht gemacht ha&#x0364;tte. Dergleichen wiederholt &#x017F;ich im<lb/>
Leben ha&#x0364;ufig, und Weltmen&#x017F;chen, welche die&#x017F;es wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ieht man daher mit einer großen Frechheit und Drei¬<lb/>
&#x017F;tigkeit zu Werke gehen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich merkte mir die&#x017F;e Beobachtung, die mir neu<lb/>
war. Ich brachte &#x017F;odann das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch auf einige &#x017F;ei¬<lb/>
ner Werke und wir kamen auch auf die Elegie Alexis<lb/>
und Dora.</p><lb/>
          <p>&#x201E;An die&#x017F;em Gedicht, &#x017F;agte Goethe, tadelten die<lb/>
Men&#x017F;chen den &#x017F;tarken leiden&#x017F;chaftlichen Schluß und ver¬<lb/>
langten, daß die Elegie &#x017F;anft und ruhig ausgehen &#x017F;olle,<lb/>
ohne jene eifer&#x017F;u&#x0364;chtige Aufwallung; allein ich konnte<lb/>
nicht ein&#x017F;ehen, daß jene Men&#x017F;chen Recht ha&#x0364;tten. Die<lb/>
Eifer&#x017F;ucht liegt hier &#x017F;o nahe und i&#x017F;t &#x017F;o in der Sache,<lb/>
daß dem Gedicht etwas fehlen wu&#x0364;rde, wenn &#x017F;ie nicht<lb/>
dawa&#x0364;re. Ich habe &#x017F;elb&#x017F;t einen jungen Men&#x017F;chen gekannt,<lb/>
der in leiden&#x017F;chaftlicher Liebe zu einem &#x017F;chnell gewonne¬<lb/>
nen Ma&#x0364;dchen ausrief: aber wird &#x017F;ie es nicht einem an¬<lb/>
dern eben &#x017F;o machen wie mir?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich &#x017F;timmte Goethen vollkommen bey und erwa&#x0364;hnte<lb/>
&#x017F;odann der eigenthu&#x0364;mlichen Zu&#x017F;ta&#x0364;nde die&#x017F;er Elegie, wo<lb/>
in &#x017F;o kleinem Raum mit wenig Zu&#x0364;gen alles &#x017F;o wohl<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0249] „Ich machte vor einiger Zeit, eben bey jenen Unter¬ handlungen mit Buchhaͤndlern, einen Fehler und es that mir leid, daß ich ihn gemacht hatte. Jetzt aber haben ſich die Umſtaͤnde ſo geaͤndert, daß ich einen großen Fehler begangen haben wuͤrde, wenn ich jenen nicht gemacht haͤtte. Dergleichen wiederholt ſich im Leben haͤufig, und Weltmenſchen, welche dieſes wiſſen, ſieht man daher mit einer großen Frechheit und Drei¬ ſtigkeit zu Werke gehen.“ Ich merkte mir dieſe Beobachtung, die mir neu war. Ich brachte ſodann das Geſpraͤch auf einige ſei¬ ner Werke und wir kamen auch auf die Elegie Alexis und Dora. „An dieſem Gedicht, ſagte Goethe, tadelten die Menſchen den ſtarken leidenſchaftlichen Schluß und ver¬ langten, daß die Elegie ſanft und ruhig ausgehen ſolle, ohne jene eiferſuͤchtige Aufwallung; allein ich konnte nicht einſehen, daß jene Menſchen Recht haͤtten. Die Eiferſucht liegt hier ſo nahe und iſt ſo in der Sache, daß dem Gedicht etwas fehlen wuͤrde, wenn ſie nicht dawaͤre. Ich habe ſelbſt einen jungen Menſchen gekannt, der in leidenſchaftlicher Liebe zu einem ſchnell gewonne¬ nen Maͤdchen ausrief: aber wird ſie es nicht einem an¬ dern eben ſo machen wie mir?“ Ich ſtimmte Goethen vollkommen bey und erwaͤhnte ſodann der eigenthuͤmlichen Zuſtaͤnde dieſer Elegie, wo in ſo kleinem Raum mit wenig Zuͤgen alles ſo wohl

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/249
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/249>, abgerufen am 04.05.2024.