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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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Goethe erzählte mir sodann einige Stellen des Ro¬
mans, um mir eine Probe zu geben, mit welchem Geiste
er geschrieben. "Es kommen, fuhr er sodann fort,
Manzoni vorzüglich vier Dinge zu Statten, die zu
der großen Vortrefflichkeit seines Werkes beygetragen.
Zunächst daß er ein ausgezeichneter Historiker ist, wodurch
denn seine Dichtung die große Würde und Tüchtigkeit
bekommen hat, die sie über alles dasjenige weit hinaus¬
hebt, was man gewöhnlich sich unter Roman vorstellt.
Zweytens ist ihm die katholische Religion vortheilhaft,
aus der viele Verhältnisse poetischer Art hervorgehen,
die er als Protestant nicht gehabt haben würde. So
wie es drittens seinem Werke zu gute kommt, daß der
Autor in revolutionairen Reibungen viel gelitten, die,
wenn er auch persönlich nicht darin verflochten gewesen,
doch seine Freunde getroffen und theils zu Grunde ge¬
richtet haben. Und endlich viertens ist es diesem Ro¬
mane günstig, daß die Handlung in der reizenden Ge¬
gend am Comer See vorgeht, deren Eindrücke sich dem
Dichter von Jugend auf eingeprägt haben und die er
also in- und auswendig kennet. Daher entspringt nun
auch ein großes Hauptverdienst des Werkes, nämlich die
Deutlichkeit und das bewundernswürdige Detail in Zeich¬
nung der Localität."


Goethe erzaͤhlte mir ſodann einige Stellen des Ro¬
mans, um mir eine Probe zu geben, mit welchem Geiſte
er geſchrieben. „Es kommen, fuhr er ſodann fort,
Manzoni vorzuͤglich vier Dinge zu Statten, die zu
der großen Vortrefflichkeit ſeines Werkes beygetragen.
Zunaͤchſt daß er ein ausgezeichneter Hiſtoriker iſt, wodurch
denn ſeine Dichtung die große Wuͤrde und Tuͤchtigkeit
bekommen hat, die ſie uͤber alles dasjenige weit hinaus¬
hebt, was man gewoͤhnlich ſich unter Roman vorſtellt.
Zweytens iſt ihm die katholiſche Religion vortheilhaft,
aus der viele Verhaͤltniſſe poetiſcher Art hervorgehen,
die er als Proteſtant nicht gehabt haben wuͤrde. So
wie es drittens ſeinem Werke zu gute kommt, daß der
Autor in revolutionairen Reibungen viel gelitten, die,
wenn er auch perſoͤnlich nicht darin verflochten geweſen,
doch ſeine Freunde getroffen und theils zu Grunde ge¬
richtet haben. Und endlich viertens iſt es dieſem Ro¬
mane guͤnſtig, daß die Handlung in der reizenden Ge¬
gend am Comer See vorgeht, deren Eindruͤcke ſich dem
Dichter von Jugend auf eingepraͤgt haben und die er
alſo in- und auswendig kennet. Daher entſpringt nun
auch ein großes Hauptverdienſt des Werkes, naͤmlich die
Deutlichkeit und das bewundernswuͤrdige Detail in Zeich¬
nung der Localitaͤt.“


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[378/0398] Goethe erzaͤhlte mir ſodann einige Stellen des Ro¬ mans, um mir eine Probe zu geben, mit welchem Geiſte er geſchrieben. „Es kommen, fuhr er ſodann fort, Manzoni vorzuͤglich vier Dinge zu Statten, die zu der großen Vortrefflichkeit ſeines Werkes beygetragen. Zunaͤchſt daß er ein ausgezeichneter Hiſtoriker iſt, wodurch denn ſeine Dichtung die große Wuͤrde und Tuͤchtigkeit bekommen hat, die ſie uͤber alles dasjenige weit hinaus¬ hebt, was man gewoͤhnlich ſich unter Roman vorſtellt. Zweytens iſt ihm die katholiſche Religion vortheilhaft, aus der viele Verhaͤltniſſe poetiſcher Art hervorgehen, die er als Proteſtant nicht gehabt haben wuͤrde. So wie es drittens ſeinem Werke zu gute kommt, daß der Autor in revolutionairen Reibungen viel gelitten, die, wenn er auch perſoͤnlich nicht darin verflochten geweſen, doch ſeine Freunde getroffen und theils zu Grunde ge¬ richtet haben. Und endlich viertens iſt es dieſem Ro¬ mane guͤnſtig, daß die Handlung in der reizenden Ge¬ gend am Comer See vorgeht, deren Eindruͤcke ſich dem Dichter von Jugend auf eingepraͤgt haben und die er alſo in- und auswendig kennet. Daher entſpringt nun auch ein großes Hauptverdienſt des Werkes, naͤmlich die Deutlichkeit und das bewundernswuͤrdige Detail in Zeich¬ nung der Localitaͤt.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/398>, abgerufen am 26.04.2024.