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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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Welt für sich ausmachte, in der nichts existirte was nicht
der herrschenden Stimmung gemäß war und sie beför¬
derte. War es ein Seehafen mit ruhenden Schiffen,
thätigen Fischern und dem Wasser angrenzenden Pracht¬
gebäuden; war es eine einsame dürftige Hügelgegend
mit naschenden Ziegen, kleinem Bach und Brücke, etwas
Buschwerk und schattigem Baum, worunter ein ruhen¬
der Hirte die Schalmei bläst; oder war es eine tiefer¬
liegende Bruchgegend mit stagnirendem Wasser, das bey
mächtiger Sommerwärme die Empfindung behaglicher
Kühle giebt, immer war das Bild durch und durch nur
Eins, nirgends die Spur von etwas Fremdem, das
nicht zu diesem Element gehörte.

"Da sehen Sie einmal einen vollkommenen Men¬
schen, sagte Goethe, der schön gedacht und empfunden
hat, und in dessen Gemüth eine Welt lag, wie man
sie nicht leicht irgendwo draußen antrifft. -- Die Bil¬
der haben die höchste Wahrheit, aber keine Spur von
Wirklichkeit. Claude Lorrain kannte die reale Welt bis
ins kleinste Detail auswendig, und er gebrauchte sie als
Mittel, um die Welt seiner schönen Seele auszudrücken.
Und das ist eben die wahre Idealität, die sich realer
Mittel so zu bedienen weiß, daß das erscheinende Wahre
eine Täuschung hervorbringt als sey es wirklich."

Ich dächte, sagte ich, das wäre ein gutes Wort,
und zwar eben so gültig in der Poesie wie in den bil¬
denden Künsten. "Ich sollte meinen," sagte Goethe.

Welt fuͤr ſich ausmachte, in der nichts exiſtirte was nicht
der herrſchenden Stimmung gemaͤß war und ſie befoͤr¬
derte. War es ein Seehafen mit ruhenden Schiffen,
thaͤtigen Fiſchern und dem Waſſer angrenzenden Pracht¬
gebaͤuden; war es eine einſame duͤrftige Huͤgelgegend
mit naſchenden Ziegen, kleinem Bach und Bruͤcke, etwas
Buſchwerk und ſchattigem Baum, worunter ein ruhen¬
der Hirte die Schalmei blaͤſt; oder war es eine tiefer¬
liegende Bruchgegend mit ſtagnirendem Waſſer, das bey
maͤchtiger Sommerwaͤrme die Empfindung behaglicher
Kuͤhle giebt, immer war das Bild durch und durch nur
Eins, nirgends die Spur von etwas Fremdem, das
nicht zu dieſem Element gehoͤrte.

„Da ſehen Sie einmal einen vollkommenen Men¬
ſchen, ſagte Goethe, der ſchoͤn gedacht und empfunden
hat, und in deſſen Gemuͤth eine Welt lag, wie man
ſie nicht leicht irgendwo draußen antrifft. — Die Bil¬
der haben die hoͤchſte Wahrheit, aber keine Spur von
Wirklichkeit. Claude Lorrain kannte die reale Welt bis
ins kleinſte Detail auswendig, und er gebrauchte ſie als
Mittel, um die Welt ſeiner ſchoͤnen Seele auszudruͤcken.
Und das iſt eben die wahre Idealitaͤt, die ſich realer
Mittel ſo zu bedienen weiß, daß das erſcheinende Wahre
eine Taͤuſchung hervorbringt als ſey es wirklich.“

Ich daͤchte, ſagte ich, das waͤre ein gutes Wort,
und zwar eben ſo guͤltig in der Poeſie wie in den bil¬
denden Kuͤnſten. „Ich ſollte meinen,“ ſagte Goethe.

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[126/0136] Welt fuͤr ſich ausmachte, in der nichts exiſtirte was nicht der herrſchenden Stimmung gemaͤß war und ſie befoͤr¬ derte. War es ein Seehafen mit ruhenden Schiffen, thaͤtigen Fiſchern und dem Waſſer angrenzenden Pracht¬ gebaͤuden; war es eine einſame duͤrftige Huͤgelgegend mit naſchenden Ziegen, kleinem Bach und Bruͤcke, etwas Buſchwerk und ſchattigem Baum, worunter ein ruhen¬ der Hirte die Schalmei blaͤſt; oder war es eine tiefer¬ liegende Bruchgegend mit ſtagnirendem Waſſer, das bey maͤchtiger Sommerwaͤrme die Empfindung behaglicher Kuͤhle giebt, immer war das Bild durch und durch nur Eins, nirgends die Spur von etwas Fremdem, das nicht zu dieſem Element gehoͤrte. „Da ſehen Sie einmal einen vollkommenen Men¬ ſchen, ſagte Goethe, der ſchoͤn gedacht und empfunden hat, und in deſſen Gemuͤth eine Welt lag, wie man ſie nicht leicht irgendwo draußen antrifft. — Die Bil¬ der haben die hoͤchſte Wahrheit, aber keine Spur von Wirklichkeit. Claude Lorrain kannte die reale Welt bis ins kleinſte Detail auswendig, und er gebrauchte ſie als Mittel, um die Welt ſeiner ſchoͤnen Seele auszudruͤcken. Und das iſt eben die wahre Idealitaͤt, die ſich realer Mittel ſo zu bedienen weiß, daß das erſcheinende Wahre eine Taͤuſchung hervorbringt als ſey es wirklich.“ Ich daͤchte, ſagte ich, das waͤre ein gutes Wort, und zwar eben ſo guͤltig in der Poeſie wie in den bil¬ denden Kuͤnſten. „Ich ſollte meinen,“ ſagte Goethe.

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/136>, abgerufen am 26.04.2024.