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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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die nachtheilige Einwirkung aufzuheben, und es gelingt
mir."

"In der Poesie jedoch lassen sich gewisse Dinge
nicht zwingen, und man muß von guten Stunden er¬
warten, was durch geistigen Willen nicht zu erreichen ist.
So lasse ich mir jetzt in meiner Walpurgisnacht Zeit,
damit Alles die gehörige Kraft und Anmuth erhalten
möge. Ich bin gut vorgerückt und hoffe es zu vollen¬
den bevor Sie gehen."

"Was darin von Piquen vorkommt, habe ich so
von den besonderen Gegenständen abgelöst und ins All¬
gemeine gespielt, daß es zwar dem Leser nicht an Be¬
ziehungen fehlen, aber niemand wissen wird, worauf es
eigentlich gemeint ist. Ich habe jedoch gestrebt, daß
Alles, im antiken Sinne, in bestimmten Umrissen da¬
stehe, und daß nichts Vages, Ungewisses vorkomme,
welches dem romantischen Verfahren gemäß seyn mag."

"Der Begriff von classischer und romantischer Poesie,
der jetzt über die ganze Welt geht und so viel Streit
und Spaltungen verursacht, fuhr Goethe fort, ist ur¬
sprünglich von mir und Schiller ausgegangen. Ich
hatte in der Poesie die Maxime des objectiven Verfah¬
rens, und wollte nur dieses gelten lassen. Schiller aber,
der ganz subjectiv wirkte, hielt seine Art für die rechte,
und, um sich gegen mich zu wehren, schrieb er den
Aufsatz über naive und sentimentale Dichtung. Er be¬
wies mir, daß ich selber, wider Willen, romantisch sey,

die nachtheilige Einwirkung aufzuheben, und es gelingt
mir.“

„In der Poeſie jedoch laſſen ſich gewiſſe Dinge
nicht zwingen, und man muß von guten Stunden er¬
warten, was durch geiſtigen Willen nicht zu erreichen iſt.
So laſſe ich mir jetzt in meiner Walpurgisnacht Zeit,
damit Alles die gehoͤrige Kraft und Anmuth erhalten
moͤge. Ich bin gut vorgeruͤckt und hoffe es zu vollen¬
den bevor Sie gehen.“

„Was darin von Piquen vorkommt, habe ich ſo
von den beſonderen Gegenſtaͤnden abgeloͤſt und ins All¬
gemeine geſpielt, daß es zwar dem Leſer nicht an Be¬
ziehungen fehlen, aber niemand wiſſen wird, worauf es
eigentlich gemeint iſt. Ich habe jedoch geſtrebt, daß
Alles, im antiken Sinne, in beſtimmten Umriſſen da¬
ſtehe, und daß nichts Vages, Ungewiſſes vorkomme,
welches dem romantiſchen Verfahren gemaͤß ſeyn mag.“

„Der Begriff von claſſiſcher und romantiſcher Poeſie,
der jetzt uͤber die ganze Welt geht und ſo viel Streit
und Spaltungen verurſacht, fuhr Goethe fort, iſt ur¬
ſpruͤnglich von mir und Schiller ausgegangen. Ich
hatte in der Poeſie die Maxime des objectiven Verfah¬
rens, und wollte nur dieſes gelten laſſen. Schiller aber,
der ganz ſubjectiv wirkte, hielt ſeine Art fuͤr die rechte,
und, um ſich gegen mich zu wehren, ſchrieb er den
Aufſatz uͤber naive und ſentimentale Dichtung. Er be¬
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[203/0213] die nachtheilige Einwirkung aufzuheben, und es gelingt mir.“ „In der Poeſie jedoch laſſen ſich gewiſſe Dinge nicht zwingen, und man muß von guten Stunden er¬ warten, was durch geiſtigen Willen nicht zu erreichen iſt. So laſſe ich mir jetzt in meiner Walpurgisnacht Zeit, damit Alles die gehoͤrige Kraft und Anmuth erhalten moͤge. Ich bin gut vorgeruͤckt und hoffe es zu vollen¬ den bevor Sie gehen.“ „Was darin von Piquen vorkommt, habe ich ſo von den beſonderen Gegenſtaͤnden abgeloͤſt und ins All¬ gemeine geſpielt, daß es zwar dem Leſer nicht an Be¬ ziehungen fehlen, aber niemand wiſſen wird, worauf es eigentlich gemeint iſt. Ich habe jedoch geſtrebt, daß Alles, im antiken Sinne, in beſtimmten Umriſſen da¬ ſtehe, und daß nichts Vages, Ungewiſſes vorkomme, welches dem romantiſchen Verfahren gemaͤß ſeyn mag.“ „Der Begriff von claſſiſcher und romantiſcher Poeſie, der jetzt uͤber die ganze Welt geht und ſo viel Streit und Spaltungen verurſacht, fuhr Goethe fort, iſt ur¬ ſpruͤnglich von mir und Schiller ausgegangen. Ich hatte in der Poeſie die Maxime des objectiven Verfah¬ rens, und wollte nur dieſes gelten laſſen. Schiller aber, der ganz ſubjectiv wirkte, hielt ſeine Art fuͤr die rechte, und, um ſich gegen mich zu wehren, ſchrieb er den Aufſatz uͤber naive und ſentimentale Dichtung. Er be¬ wies mir, daß ich ſelber, wider Willen, romantiſch ſey,

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/213>, abgerufen am 26.04.2024.