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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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sich einer Partey hingeben; und so wie er dieses thut,
ist er als Poet verloren; er muß seinem freyen Geiste,
seinem unbefangenen Überblick Lebewohl sagen, und da¬
gegen die Kappe der Bornirtheit und des blinden Hasses
über die Ohren ziehen."

"Der Dichter wird als Mensch und Bürger sein
Vaterland lieben, aber das Vaterland seiner poetischen
Kräfte und seines poetischen Wirkens ist das Gute, Edle
und Schöne, das an keine besondere Provinz und an
kein besonderes Land gebunden ist, und das er ergreift
und bildet wo er es findet. Er ist darin dem Adler
gleich, der mit freyem Blick über Ländern schwebt, und
dem es gleichviel ist, ob der Hase, auf den er hinab¬
schießt, in Preußen oder in Sachsen läuft."

"Und was heißt denn: sein Vaterland lieben, und
was heißt denn: patriotisch wirken? Wenn ein Dichter
lebenslänglich bemüht war, schädliche Vorurtheile zu be¬
kämpfen, engherzige Ansichten zu beseitigen, den Geist
seines Volkes aufzuklären, dessen Geschmack zu reinigen,
und dessen Gesinnungs- und Denkweise zu veredeln,
was soll er denn da Besseres thun? und wie soll er denn
da patriotischer wirken? -- An einen Dichter so unge¬
hörige und undankbare Anforderungen zu machen, wäre
eben so, als wenn man von einem Regiments-Chef ver¬
langen wolle: er müsse, um ein rechter Patriot zu seyn,
sich in politische Neuerungen verflechten und darüber sei¬
nen nächsten Beruf vernachlässigen. Das Vaterland

II. 24

ſich einer Partey hingeben; und ſo wie er dieſes thut,
iſt er als Poet verloren; er muß ſeinem freyen Geiſte,
ſeinem unbefangenen Überblick Lebewohl ſagen, und da¬
gegen die Kappe der Bornirtheit und des blinden Haſſes
uͤber die Ohren ziehen.“

„Der Dichter wird als Menſch und Buͤrger ſein
Vaterland lieben, aber das Vaterland ſeiner poetiſchen
Kraͤfte und ſeines poetiſchen Wirkens iſt das Gute, Edle
und Schoͤne, das an keine beſondere Provinz und an
kein beſonderes Land gebunden iſt, und das er ergreift
und bildet wo er es findet. Er iſt darin dem Adler
gleich, der mit freyem Blick uͤber Laͤndern ſchwebt, und
dem es gleichviel iſt, ob der Haſe, auf den er hinab¬
ſchießt, in Preußen oder in Sachſen laͤuft.“

„Und was heißt denn: ſein Vaterland lieben, und
was heißt denn: patriotiſch wirken? Wenn ein Dichter
lebenslaͤnglich bemuͤht war, ſchaͤdliche Vorurtheile zu be¬
kaͤmpfen, engherzige Anſichten zu beſeitigen, den Geiſt
ſeines Volkes aufzuklaͤren, deſſen Geſchmack zu reinigen,
und deſſen Geſinnungs- und Denkweiſe zu veredeln,
was ſoll er denn da Beſſeres thun? und wie ſoll er denn
da patriotiſcher wirken? — An einen Dichter ſo unge¬
hoͤrige und undankbare Anforderungen zu machen, waͤre
eben ſo, als wenn man von einem Regiments-Chef ver¬
langen wolle: er muͤſſe, um ein rechter Patriot zu ſeyn,
ſich in politiſche Neuerungen verflechten und daruͤber ſei¬
nen naͤchſten Beruf vernachlaͤſſigen. Das Vaterland

II. 24
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[357/0367] ſich einer Partey hingeben; und ſo wie er dieſes thut, iſt er als Poet verloren; er muß ſeinem freyen Geiſte, ſeinem unbefangenen Überblick Lebewohl ſagen, und da¬ gegen die Kappe der Bornirtheit und des blinden Haſſes uͤber die Ohren ziehen.“ „Der Dichter wird als Menſch und Buͤrger ſein Vaterland lieben, aber das Vaterland ſeiner poetiſchen Kraͤfte und ſeines poetiſchen Wirkens iſt das Gute, Edle und Schoͤne, das an keine beſondere Provinz und an kein beſonderes Land gebunden iſt, und das er ergreift und bildet wo er es findet. Er iſt darin dem Adler gleich, der mit freyem Blick uͤber Laͤndern ſchwebt, und dem es gleichviel iſt, ob der Haſe, auf den er hinab¬ ſchießt, in Preußen oder in Sachſen laͤuft.“ „Und was heißt denn: ſein Vaterland lieben, und was heißt denn: patriotiſch wirken? Wenn ein Dichter lebenslaͤnglich bemuͤht war, ſchaͤdliche Vorurtheile zu be¬ kaͤmpfen, engherzige Anſichten zu beſeitigen, den Geiſt ſeines Volkes aufzuklaͤren, deſſen Geſchmack zu reinigen, und deſſen Geſinnungs- und Denkweiſe zu veredeln, was ſoll er denn da Beſſeres thun? und wie ſoll er denn da patriotiſcher wirken? — An einen Dichter ſo unge¬ hoͤrige und undankbare Anforderungen zu machen, waͤre eben ſo, als wenn man von einem Regiments-Chef ver¬ langen wolle: er muͤſſe, um ein rechter Patriot zu ſeyn, ſich in politiſche Neuerungen verflechten und daruͤber ſei¬ nen naͤchſten Beruf vernachlaͤſſigen. Das Vaterland II. 24

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/367>, abgerufen am 26.04.2024.