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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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"Ich bin nun wirklich, fuhr er fort, auf sein Le¬
ben Napoleon's
begierig, welches er mir ankündigt.
Ich höre so viel Widersprechendes und Leidenschaftliches
über das Buch, daß ich im Voraus gewiß bin: es
wird auf jeden Fall sehr bedeutend seyn."

Ich fragte nach Lockart, und ob er sich seiner
noch erinnere.

"Noch sehr wohl! erwiederte Goethe. Seine Per¬
sönlichkeit macht einen entschiedenen Eindruck, so daß
man ihn sobald nicht wieder vergißt. Er soll, wie ich
von reisenden Engländern und meiner Schwiegertochter
höre, ein junger Mann seyn, von dem man in der
Literatur gute Dinge erwartet."

"Uebrigens wundere ich mich fast, daß Walter Scott
kein Wort über Carlyle sagt, der doch eine so ent¬
schiedene Richtung auf das Deutsche hat, daß er ihm
sicher bekannt seyn muß."

"An Carlyle ist es bewundernswürdig, daß er bei
Beurtheilung unserer deutschen Schriftsteller besonders
den geistigen und sittlichen Kern, als das eigentlich
Wirksame, im Auge hat. Carlyle ist eine moralische
Macht von großer Bedeutung. Es ist in ihm viel
Zukunft vorhanden, und es ist gar nicht abzusehen, was
er Alles leisten und wirken wird."


Goethe hatte mich auf diesen Morgen zu einer Spa¬

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„Ich bin nun wirklich, fuhr er fort, auf ſein Le¬
ben Napoleon's
begierig, welches er mir ankündigt.
Ich höre ſo viel Widerſprechendes und Leidenſchaftliches
über das Buch, daß ich im Voraus gewiß bin: es
wird auf jeden Fall ſehr bedeutend ſeyn.“

Ich fragte nach Lockart, und ob er ſich ſeiner
noch erinnere.

„Noch ſehr wohl! erwiederte Goethe. Seine Per¬
ſönlichkeit macht einen entſchiedenen Eindruck, ſo daß
man ihn ſobald nicht wieder vergißt. Er ſoll, wie ich
von reiſenden Engländern und meiner Schwiegertochter
höre, ein junger Mann ſeyn, von dem man in der
Literatur gute Dinge erwartet.“

„Uebrigens wundere ich mich faſt, daß Walter Scott
kein Wort über Carlyle ſagt, der doch eine ſo ent¬
ſchiedene Richtung auf das Deutſche hat, daß er ihm
ſicher bekannt ſeyn muß.“

„An Carlyle iſt es bewundernswürdig, daß er bei
Beurtheilung unſerer deutſchen Schriftſteller beſonders
den geiſtigen und ſittlichen Kern, als das eigentlich
Wirkſame, im Auge hat. Carlyle iſt eine moraliſche
Macht von großer Bedeutung. Es iſt in ihm viel
Zukunft vorhanden, und es iſt gar nicht abzuſehen, was
er Alles leiſten und wirken wird.“


Goethe hatte mich auf dieſen Morgen zu einer Spa¬

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[179/0201] „Ich bin nun wirklich, fuhr er fort, auf ſein Le¬ ben Napoleon's begierig, welches er mir ankündigt. Ich höre ſo viel Widerſprechendes und Leidenſchaftliches über das Buch, daß ich im Voraus gewiß bin: es wird auf jeden Fall ſehr bedeutend ſeyn.“ Ich fragte nach Lockart, und ob er ſich ſeiner noch erinnere. „Noch ſehr wohl! erwiederte Goethe. Seine Per¬ ſönlichkeit macht einen entſchiedenen Eindruck, ſo daß man ihn ſobald nicht wieder vergißt. Er ſoll, wie ich von reiſenden Engländern und meiner Schwiegertochter höre, ein junger Mann ſeyn, von dem man in der Literatur gute Dinge erwartet.“ „Uebrigens wundere ich mich faſt, daß Walter Scott kein Wort über Carlyle ſagt, der doch eine ſo ent¬ ſchiedene Richtung auf das Deutſche hat, daß er ihm ſicher bekannt ſeyn muß.“ „An Carlyle iſt es bewundernswürdig, daß er bei Beurtheilung unſerer deutſchen Schriftſteller beſonders den geiſtigen und ſittlichen Kern, als das eigentlich Wirkſame, im Auge hat. Carlyle iſt eine moraliſche Macht von großer Bedeutung. Es iſt in ihm viel Zukunft vorhanden, und es iſt gar nicht abzuſehen, was er Alles leiſten und wirken wird.“ Mittwoch, den 26. September 1827. Goethe hatte mich auf dieſen Morgen zu einer Spa¬ 12*

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/201>, abgerufen am 26.04.2024.