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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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überhaupt bei uns eine Lücke ausgefüllt werde. War
es aber ein junger Mensch, der zuvor noch keine Bühne
betreten, so sah ich zunächst auf seine Persönlichkeit, ob
ihm etwas für sich Einnehmendes, Anziehendes, inwohne,
und vor allen Dingen, ob er sich in der Gewalt habe.
Denn ein Schauspieler, der keine Selbstbeherrschung
besitzt und sich einem Fremden gegenüber nicht so zeigen
kann, wie er es für sich am günstigsten hält, hat über¬
haupt wenig Talent. Sein ganzes Metier verlangt ja
ein fortwährendes Verläugnen seiner selbst und ein
fortwährendes Eingehen und Leben in einer fremden
Maske! --"

"Wenn mir nun sein Aeußeres und sein Benehmen
gefiel, so ließ ich ihn lesen, um sowohl die Kraft und
den Umfang seines Organs, als auch die Fähigkeiten
seiner Seele zu erfahren. Ich gab ihm etwas Erhabe¬
nes eines großen Dichters, um zu sehen, ob er das
wirklich Große zu empfinden und auszudrücken fähig;
dann etwas Leidenschaftliches, Wildes, um seine Kraft
zu prüfen. Dann ging ich wohl zu etwas klar Ver¬
ständigem, Geistreichen, Ironischen, Witzigen über, um
zu sehen, wie er sich bei solchen Dingen benehme und
ob er hinlängliche Freiheit des Geistes besitze. Dann
gab ich ihm etwas, worin der Schmerz eines verwunde¬
ten Herzens, das Leiden einer großen Seele dargestellt
war, damit ich erführe, ob er auch den Ausdruck des
Rührenden in seiner Gewalt habe."

überhaupt bei uns eine Lücke ausgefüllt werde. War
es aber ein junger Menſch, der zuvor noch keine Bühne
betreten, ſo ſah ich zunächſt auf ſeine Perſönlichkeit, ob
ihm etwas für ſich Einnehmendes, Anziehendes, inwohne,
und vor allen Dingen, ob er ſich in der Gewalt habe.
Denn ein Schauſpieler, der keine Selbſtbeherrſchung
beſitzt und ſich einem Fremden gegenüber nicht ſo zeigen
kann, wie er es für ſich am günſtigſten hält, hat über¬
haupt wenig Talent. Sein ganzes Metier verlangt ja
ein fortwährendes Verläugnen ſeiner ſelbſt und ein
fortwährendes Eingehen und Leben in einer fremden
Maske! —“

„Wenn mir nun ſein Aeußeres und ſein Benehmen
gefiel, ſo ließ ich ihn leſen, um ſowohl die Kraft und
den Umfang ſeines Organs, als auch die Fähigkeiten
ſeiner Seele zu erfahren. Ich gab ihm etwas Erhabe¬
nes eines großen Dichters, um zu ſehen, ob er das
wirklich Große zu empfinden und auszudrücken fähig;
dann etwas Leidenſchaftliches, Wildes, um ſeine Kraft
zu prüfen. Dann ging ich wohl zu etwas klar Ver¬
ſtändigem, Geiſtreichen, Ironiſchen, Witzigen über, um
zu ſehen, wie er ſich bei ſolchen Dingen benehme und
ob er hinlängliche Freiheit des Geiſtes beſitze. Dann
gab ich ihm etwas, worin der Schmerz eines verwunde¬
ten Herzens, das Leiden einer großen Seele dargeſtellt
war, damit ich erführe, ob er auch den Ausdruck des
Rührenden in ſeiner Gewalt habe.“

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[80/0102] überhaupt bei uns eine Lücke ausgefüllt werde. War es aber ein junger Menſch, der zuvor noch keine Bühne betreten, ſo ſah ich zunächſt auf ſeine Perſönlichkeit, ob ihm etwas für ſich Einnehmendes, Anziehendes, inwohne, und vor allen Dingen, ob er ſich in der Gewalt habe. Denn ein Schauſpieler, der keine Selbſtbeherrſchung beſitzt und ſich einem Fremden gegenüber nicht ſo zeigen kann, wie er es für ſich am günſtigſten hält, hat über¬ haupt wenig Talent. Sein ganzes Metier verlangt ja ein fortwährendes Verläugnen ſeiner ſelbſt und ein fortwährendes Eingehen und Leben in einer fremden Maske! —“ „Wenn mir nun ſein Aeußeres und ſein Benehmen gefiel, ſo ließ ich ihn leſen, um ſowohl die Kraft und den Umfang ſeines Organs, als auch die Fähigkeiten ſeiner Seele zu erfahren. Ich gab ihm etwas Erhabe¬ nes eines großen Dichters, um zu ſehen, ob er das wirklich Große zu empfinden und auszudrücken fähig; dann etwas Leidenſchaftliches, Wildes, um ſeine Kraft zu prüfen. Dann ging ich wohl zu etwas klar Ver¬ ſtändigem, Geiſtreichen, Ironiſchen, Witzigen über, um zu ſehen, wie er ſich bei ſolchen Dingen benehme und ob er hinlängliche Freiheit des Geiſtes beſitze. Dann gab ich ihm etwas, worin der Schmerz eines verwunde¬ ten Herzens, das Leiden einer großen Seele dargeſtellt war, damit ich erführe, ob er auch den Ausdruck des Rührenden in ſeiner Gewalt habe.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/102>, abgerufen am 26.04.2024.