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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Messe. Auch einige Züge Koppelpferde, worunter sehr
schöne Thiere.

"Ich muß über die Aesthetiker lachen, sagte Göthe,
welche sich abquälen, dasjenige Unaussprechliche, wofür
wir den Ausdruck schön gebrauchen, durch einige ab¬
stracte Worte in einen Begriff zu bringen. Das Schöne
ist ein Urphänomen, das zwar nie selber zur Erschei¬
nung kommt, dessen Abglanz aber in tausend verschie¬
denen Aeußerungen des schaffenden Geistes sichtbar
wird, und so mannigfaltig und so verschiedenartig ist,
als die Natur selber."

Ich habe oft aussprechen hören, sagte ich, die Na¬
tur sey immer schön; sie sey die Verzweiflung des
Künstlers, indem er selten fähig sey, sie ganz zu er¬
reichen.

"Ich weiß wohl, erwiederte Goethe, daß die Natur
oft einen unerreichbaren Zauber entfaltet; allein ich bin
keineswegs der Meinung, daß sie in allen ihren Aeuße¬
rungen schön sey. Ihre Intentionen sind zwar immer
gut, allein die Bedingungen sind es nicht, die dazu
gehören, sie stets vollkommen zur Erscheinung gelangen
zu lassen."

"So ist die Eiche ein Baum, der sehr schön seyn
kann. Doch wie viele günstige Umstände müssen zu¬
sammentreffen, ehe es der Natur einmal gelingt, ihn
wahrhaft schön hervorzubringen! Wächst die Eiche im
Dickicht des Waldes heran, von bedeutenden Nachbar¬

Meſſe. Auch einige Züge Koppelpferde, worunter ſehr
ſchöne Thiere.

„Ich muß über die Aeſthetiker lachen, ſagte Göthe,
welche ſich abquälen, dasjenige Unausſprechliche, wofür
wir den Ausdruck ſchön gebrauchen, durch einige ab¬
ſtracte Worte in einen Begriff zu bringen. Das Schöne
iſt ein Urphänomen, das zwar nie ſelber zur Erſchei¬
nung kommt, deſſen Abglanz aber in tauſend verſchie¬
denen Aeußerungen des ſchaffenden Geiſtes ſichtbar
wird, und ſo mannigfaltig und ſo verſchiedenartig iſt,
als die Natur ſelber.“

Ich habe oft ausſprechen hören, ſagte ich, die Na¬
tur ſey immer ſchön; ſie ſey die Verzweiflung des
Künſtlers, indem er ſelten fähig ſey, ſie ganz zu er¬
reichen.

„Ich weiß wohl, erwiederte Goethe, daß die Natur
oft einen unerreichbaren Zauber entfaltet; allein ich bin
keineswegs der Meinung, daß ſie in allen ihren Aeuße¬
rungen ſchön ſey. Ihre Intentionen ſind zwar immer
gut, allein die Bedingungen ſind es nicht, die dazu
gehören, ſie ſtets vollkommen zur Erſcheinung gelangen
zu laſſen.“

„So iſt die Eiche ein Baum, der ſehr ſchön ſeyn
kann. Doch wie viele günſtige Umſtände müſſen zu¬
ſammentreffen, ehe es der Natur einmal gelingt, ihn
wahrhaft ſchön hervorzubringen! Wächſt die Eiche im
Dickicht des Waldes heran, von bedeutenden Nachbar¬

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[146/0168] Meſſe. Auch einige Züge Koppelpferde, worunter ſehr ſchöne Thiere. „Ich muß über die Aeſthetiker lachen, ſagte Göthe, welche ſich abquälen, dasjenige Unausſprechliche, wofür wir den Ausdruck ſchön gebrauchen, durch einige ab¬ ſtracte Worte in einen Begriff zu bringen. Das Schöne iſt ein Urphänomen, das zwar nie ſelber zur Erſchei¬ nung kommt, deſſen Abglanz aber in tauſend verſchie¬ denen Aeußerungen des ſchaffenden Geiſtes ſichtbar wird, und ſo mannigfaltig und ſo verſchiedenartig iſt, als die Natur ſelber.“ Ich habe oft ausſprechen hören, ſagte ich, die Na¬ tur ſey immer ſchön; ſie ſey die Verzweiflung des Künſtlers, indem er ſelten fähig ſey, ſie ganz zu er¬ reichen. „Ich weiß wohl, erwiederte Goethe, daß die Natur oft einen unerreichbaren Zauber entfaltet; allein ich bin keineswegs der Meinung, daß ſie in allen ihren Aeuße¬ rungen ſchön ſey. Ihre Intentionen ſind zwar immer gut, allein die Bedingungen ſind es nicht, die dazu gehören, ſie ſtets vollkommen zur Erſcheinung gelangen zu laſſen.“ „So iſt die Eiche ein Baum, der ſehr ſchön ſeyn kann. Doch wie viele günſtige Umſtände müſſen zu¬ ſammentreffen, ehe es der Natur einmal gelingt, ihn wahrhaft ſchön hervorzubringen! Wächſt die Eiche im Dickicht des Waldes heran, von bedeutenden Nachbar¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/168>, abgerufen am 26.04.2024.