Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Goethe commentirte und paraphrasirte einige derselben
mit großer Originalität und guter Laune.

Sodann war von Physik und Meteorologie die Rede.
Goethe ist im Begriff, die Theorie einer Witterungslehre
auszuarbeiten, wobei er das Steigen und Fallen des
Barometers gänzlich den Wirkungen des Erdballs und
dessen Anziehung und Entlassung der Atmosphäre
zuschreiben wird.

"Die Herren Gelehrten, und namentlich die Herren
Mathematiker, fuhr Goethe fort, werden nicht verfehlen,
meine Ideen durchaus lächerlich zu finden; oder auch,
sie werden noch besser thun, sie werden sie vornehmer¬
weise völlig ignoriren. Wissen Sie aber warum? Weil
sie sagen, ich sey kein Mann vom Fache."

Der Castengeist der Gelehrten, erwiederte ich, wäre
wohl zu verzeihen. Wenn sich in ihre Theorieen einige
Irrthümer eingeschlichen haben und darin fortgeschleppt
werden, so muß man die Ursache darin suchen, daß sie
dergleichen zu einer Zeit als Dogmen überliefert be¬
kommen haben, wo sie selber noch auf den Schulbänken
saßen.

"Das ist's eben! rief Goethe. Eure Gelehrten
machen es wie unsere Weimar'schen Buchbinder. Das
Meisterstück, das man von ihnen verlangt, um in die Gilde
aufgenommen zu werden, ist keineswegs ein hübscher
Einband nach dem neuesten Geschmack. Nein, weit
entfernt! Es muß noch immer eine dicke Bibel in

Goethe commentirte und paraphraſirte einige derſelben
mit großer Originalität und guter Laune.

Sodann war von Phyſik und Meteorologie die Rede.
Goethe iſt im Begriff, die Theorie einer Witterungslehre
auszuarbeiten, wobei er das Steigen und Fallen des
Barometers gänzlich den Wirkungen des Erdballs und
deſſen Anziehung und Entlaſſung der Atmosphäre
zuſchreiben wird.

„Die Herren Gelehrten, und namentlich die Herren
Mathematiker, fuhr Goethe fort, werden nicht verfehlen,
meine Ideen durchaus lächerlich zu finden; oder auch,
ſie werden noch beſſer thun, ſie werden ſie vornehmer¬
weiſe völlig ignoriren. Wiſſen Sie aber warum? Weil
ſie ſagen, ich ſey kein Mann vom Fache.“

Der Caſtengeiſt der Gelehrten, erwiederte ich, wäre
wohl zu verzeihen. Wenn ſich in ihre Theorieen einige
Irrthümer eingeſchlichen haben und darin fortgeſchleppt
werden, ſo muß man die Urſache darin ſuchen, daß ſie
dergleichen zu einer Zeit als Dogmen überliefert be¬
kommen haben, wo ſie ſelber noch auf den Schulbänken
ſaßen.

„Das iſt's eben! rief Goethe. Eure Gelehrten
machen es wie unſere Weimar'ſchen Buchbinder. Das
Meiſterſtück, das man von ihnen verlangt, um in die Gilde
aufgenommen zu werden, iſt keineswegs ein hübſcher
Einband nach dem neueſten Geſchmack. Nein, weit
entfernt! Es muß noch immer eine dicke Bibel in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0042" n="20"/>
Goethe commentirte und paraphra&#x017F;irte einige der&#x017F;elben<lb/>
mit großer Originalität und guter Laune.</p><lb/>
          <p>Sodann war von Phy&#x017F;ik und Meteorologie die Rede.<lb/>
Goethe i&#x017F;t im Begriff, die Theorie einer Witterungslehre<lb/>
auszuarbeiten, wobei er das Steigen und Fallen des<lb/>
Barometers gänzlich den Wirkungen des Erdballs und<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Anziehung und Entla&#x017F;&#x017F;ung der Atmosphäre<lb/>
zu&#x017F;chreiben wird.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die Herren Gelehrten, und namentlich die Herren<lb/>
Mathematiker, fuhr Goethe fort, werden nicht verfehlen,<lb/>
meine Ideen durchaus lächerlich zu finden; oder auch,<lb/>
&#x017F;ie werden noch be&#x017F;&#x017F;er thun, &#x017F;ie werden &#x017F;ie vornehmer¬<lb/>
wei&#x017F;e völlig ignoriren. Wi&#x017F;&#x017F;en Sie aber warum? Weil<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;agen, ich &#x017F;ey kein Mann vom Fache.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Ca&#x017F;tengei&#x017F;t der Gelehrten, erwiederte ich, wäre<lb/>
wohl zu verzeihen. Wenn &#x017F;ich in ihre Theorieen einige<lb/>
Irrthümer einge&#x017F;chlichen haben und darin fortge&#x017F;chleppt<lb/>
werden, &#x017F;o muß man die Ur&#x017F;ache darin &#x017F;uchen, daß &#x017F;ie<lb/>
dergleichen zu einer Zeit als Dogmen überliefert be¬<lb/>
kommen haben, wo &#x017F;ie &#x017F;elber noch auf den Schulbänken<lb/>
&#x017F;aßen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Das i&#x017F;t's eben! rief Goethe. Eure Gelehrten<lb/>
machen es wie un&#x017F;ere Weimar'&#x017F;chen Buchbinder. Das<lb/>
Mei&#x017F;ter&#x017F;tück, das man von ihnen verlangt, um in die Gilde<lb/>
aufgenommen zu werden, i&#x017F;t keineswegs ein hüb&#x017F;cher<lb/>
Einband nach dem neue&#x017F;ten Ge&#x017F;chmack. Nein, weit<lb/>
entfernt! Es muß noch immer eine dicke Bibel in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0042] Goethe commentirte und paraphraſirte einige derſelben mit großer Originalität und guter Laune. Sodann war von Phyſik und Meteorologie die Rede. Goethe iſt im Begriff, die Theorie einer Witterungslehre auszuarbeiten, wobei er das Steigen und Fallen des Barometers gänzlich den Wirkungen des Erdballs und deſſen Anziehung und Entlaſſung der Atmosphäre zuſchreiben wird. „Die Herren Gelehrten, und namentlich die Herren Mathematiker, fuhr Goethe fort, werden nicht verfehlen, meine Ideen durchaus lächerlich zu finden; oder auch, ſie werden noch beſſer thun, ſie werden ſie vornehmer¬ weiſe völlig ignoriren. Wiſſen Sie aber warum? Weil ſie ſagen, ich ſey kein Mann vom Fache.“ Der Caſtengeiſt der Gelehrten, erwiederte ich, wäre wohl zu verzeihen. Wenn ſich in ihre Theorieen einige Irrthümer eingeſchlichen haben und darin fortgeſchleppt werden, ſo muß man die Urſache darin ſuchen, daß ſie dergleichen zu einer Zeit als Dogmen überliefert be¬ kommen haben, wo ſie ſelber noch auf den Schulbänken ſaßen. „Das iſt's eben! rief Goethe. Eure Gelehrten machen es wie unſere Weimar'ſchen Buchbinder. Das Meiſterſtück, das man von ihnen verlangt, um in die Gilde aufgenommen zu werden, iſt keineswegs ein hübſcher Einband nach dem neueſten Geſchmack. Nein, weit entfernt! Es muß noch immer eine dicke Bibel in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/42
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/42>, abgerufen am 27.04.2024.