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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Eilftes Kapitel.

Es war schon Abend, als Friedrich in der Resi¬
denz ankam. Er war sehr schnell geritten, so daß
Erwin fast nicht mehr nach konnte. Je einsamer
draussen der Kreis der Felder ins Dunkel versank,
je höher nach und nach die Thürme der Stadt, wie
Riesen, sich aus der Finsterniß auflichteten, desto
lichter war es in seiner Seele geworden vor Freude
und Erwartung. Er stieg im Wirthshause ab und
eilte sogleich zu Rosa's Wohnung. Wie schlug sein
Herz, als er durch die dunklen Strassen schritt,
als er endlich die hellbeleuchtete Treppe in ihrem
Hause hinaufstieg. Er mochte keinen Bedienten
fragen, er öffnete hastig die erste Thür. Das gro¬
ße, getäfelte Zimmer war leer, nur im Hintergrun¬
de saß eine weibliche Gestalt in vornehmer Klei¬
dung. Er glaubte sich verirrt zu haben und wollte
sich entschuldigen. Aber das Mädchen vom Fenster
kam sogleich auf ihn zu, führte sich selbst als Ro¬
sa's Kammermädchen auf und versicherte sehr gleich¬
gültig, die Gräfin sey auf den Maskenball gefah¬
ren. Diese Nachricht fiel wie ein Mayfrost in seine
Lust. Es war ihm vor Freude gar nicht eingefal¬
len, daß er sie verfehlen könnte, und er hatte bey¬

Eilftes Kapitel.

Es war ſchon Abend, als Friedrich in der Reſi¬
denz ankam. Er war ſehr ſchnell geritten, ſo daß
Erwin faſt nicht mehr nach konnte. Je einſamer
drauſſen der Kreis der Felder ins Dunkel verſank,
je höher nach und nach die Thürme der Stadt, wie
Rieſen, ſich aus der Finſterniß auflichteten, deſto
lichter war es in ſeiner Seele geworden vor Freude
und Erwartung. Er ſtieg im Wirthshauſe ab und
eilte ſogleich zu Roſa's Wohnung. Wie ſchlug ſein
Herz, als er durch die dunklen Straſſen ſchritt,
als er endlich die hellbeleuchtete Treppe in ihrem
Hauſe hinaufſtieg. Er mochte keinen Bedienten
fragen, er öffnete haſtig die erſte Thür. Das gro¬
ße, getäfelte Zimmer war leer, nur im Hintergrun¬
de ſaß eine weibliche Geſtalt in vornehmer Klei¬
dung. Er glaubte ſich verirrt zu haben und wollte
ſich entſchuldigen. Aber das Mädchen vom Fenſter
kam ſogleich auf ihn zu, führte ſich ſelbſt als Ro¬
ſa's Kammermädchen auf und verſicherte ſehr gleich¬
gültig, die Gräfin ſey auf den Maſkenball gefah¬
ren. Dieſe Nachricht fiel wie ein Mayfroſt in ſeine
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len, daß er ſie verfehlen könnte, und er hatte bey¬

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[0179] Eilftes Kapitel. Es war ſchon Abend, als Friedrich in der Reſi¬ denz ankam. Er war ſehr ſchnell geritten, ſo daß Erwin faſt nicht mehr nach konnte. Je einſamer drauſſen der Kreis der Felder ins Dunkel verſank, je höher nach und nach die Thürme der Stadt, wie Rieſen, ſich aus der Finſterniß auflichteten, deſto lichter war es in ſeiner Seele geworden vor Freude und Erwartung. Er ſtieg im Wirthshauſe ab und eilte ſogleich zu Roſa's Wohnung. Wie ſchlug ſein Herz, als er durch die dunklen Straſſen ſchritt, als er endlich die hellbeleuchtete Treppe in ihrem Hauſe hinaufſtieg. Er mochte keinen Bedienten fragen, er öffnete haſtig die erſte Thür. Das gro¬ ße, getäfelte Zimmer war leer, nur im Hintergrun¬ de ſaß eine weibliche Geſtalt in vornehmer Klei¬ dung. Er glaubte ſich verirrt zu haben und wollte ſich entſchuldigen. Aber das Mädchen vom Fenſter kam ſogleich auf ihn zu, führte ſich ſelbſt als Ro¬ ſa's Kammermädchen auf und verſicherte ſehr gleich¬ gültig, die Gräfin ſey auf den Maſkenball gefah¬ ren. Dieſe Nachricht fiel wie ein Mayfroſt in ſeine Luſt. Es war ihm vor Freude gar nicht eingefal¬ len, daß er ſie verfehlen könnte, und er hatte bey¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/179>, abgerufen am 26.04.2024.