Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

auch Erwin in der Nacht gesungen, und das er
sonst nirgends wieder gehört hatte.

Leontin war indeß in das erste Zimmer hinein¬
getreten, dessen Thüre halb geöffnet stand. Er warf
einen flüchtigen Blick durch das Gemach. Ein al¬
tes, auf Holz gemahltes Ritterbild hing dort an
der Wand, über welche der Abend zuckend die lez¬
ten ungewissen Strahlen warf. Leontin trat erschüt¬
tert zurück, denn er erkannte auf einmal das be¬
leuchtete Gesicht des Bildes. In demselben Augen¬
blick trat ein alter Bediente von der anderen Sei¬
te in das Zimmer und schien heftig zu erschrecken,
als er Leontin ansah. Um Gotteswillen, rief Leon¬
tin ihm zu, sagen Sie mir, wer ist der Ritter
dort? Der Alte entfärbte sich und sah ihn lange
ernsthaft und forschend an. Das Bild ist vor meh¬
reren hundert Jahren gemahlt, eine zufällige Aehn¬
lichkeit muß Sie täuschen, sagte er darauf wieder
gesammelt und ruhig. Wo ist die Frau vom Hau¬
se? fragte Leontin wieder. Sie ist heut noch vor
Tagesanbruch schnell fortgereist und kommt so bald
nicht zurück, antwortete der Bediente und entfernte
sich mit einer eiligen Verbeugung, als wollte er
allen ferneren Fragen ausweichen.

Unruhig kehrte nun Leontin wieder zu Friedrich
zurück, gegen den er von dem ganzen lezten Vor¬
falle nichts erwähnte. Weder der Bediente, noch
auch das zierliche, scheue Mädchen, das sie vorhin
schlummernd angetroffen, zeigte sich mehr, und so

auch Erwin in der Nacht geſungen, und das er
ſonſt nirgends wieder gehört hatte.

Leontin war indeß in das erſte Zimmer hinein¬
getreten, deſſen Thüre halb geöffnet ſtand. Er warf
einen flüchtigen Blick durch das Gemach. Ein al¬
tes, auf Holz gemahltes Ritterbild hing dort an
der Wand, über welche der Abend zuckend die lez¬
ten ungewiſſen Strahlen warf. Leontin trat erſchüt¬
tert zurück, denn er erkannte auf einmal das be¬
leuchtete Geſicht des Bildes. In demſelben Augen¬
blick trat ein alter Bediente von der anderen Sei¬
te in das Zimmer und ſchien heftig zu erſchrecken,
als er Leontin anſah. Um Gotteswillen, rief Leon¬
tin ihm zu, ſagen Sie mir, wer iſt der Ritter
dort? Der Alte entfärbte ſich und ſah ihn lange
ernſthaft und forſchend an. Das Bild iſt vor meh¬
reren hundert Jahren gemahlt, eine zufällige Aehn¬
lichkeit muß Sie täuſchen, ſagte er darauf wieder
geſammelt und ruhig. Wo iſt die Frau vom Hau¬
ſe? fragte Leontin wieder. Sie iſt heut noch vor
Tagesanbruch ſchnell fortgereist und kommt ſo bald
nicht zurück, antwortete der Bediente und entfernte
ſich mit einer eiligen Verbeugung, als wollte er
allen ferneren Fragen ausweichen.

Unruhig kehrte nun Leontin wieder zu Friedrich
zurück, gegen den er von dem ganzen lezten Vor¬
falle nichts erwähnte. Weder der Bediente, noch
auch das zierliche, ſcheue Mädchen, das ſie vorhin
ſchlummernd angetroffen, zeigte ſich mehr, und ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0154" n="148"/>
auch Erwin in der Nacht ge&#x017F;ungen, und das er<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t nirgends wieder gehört hatte.</p><lb/>
          <p>Leontin war indeß in das er&#x017F;te Zimmer hinein¬<lb/>
getreten, de&#x017F;&#x017F;en Thüre halb geöffnet &#x017F;tand. Er warf<lb/>
einen flüchtigen Blick durch das Gemach. Ein al¬<lb/>
tes, auf Holz gemahltes Ritterbild hing dort an<lb/>
der Wand, über welche der Abend zuckend die lez¬<lb/>
ten ungewi&#x017F;&#x017F;en Strahlen warf. Leontin trat er&#x017F;chüt¬<lb/>
tert zurück, denn er erkannte auf einmal das be¬<lb/>
leuchtete Ge&#x017F;icht des Bildes. In dem&#x017F;elben Augen¬<lb/>
blick trat ein alter Bediente von der anderen Sei¬<lb/>
te in das Zimmer und &#x017F;chien heftig zu er&#x017F;chrecken,<lb/>
als er Leontin an&#x017F;ah. Um Gotteswillen, rief Leon¬<lb/>
tin ihm zu, &#x017F;agen Sie mir, wer i&#x017F;t der Ritter<lb/>
dort? Der Alte entfärbte &#x017F;ich und &#x017F;ah ihn lange<lb/>
ern&#x017F;thaft und for&#x017F;chend an. Das Bild i&#x017F;t vor meh¬<lb/>
reren hundert Jahren gemahlt, eine zufällige Aehn¬<lb/>
lichkeit muß Sie täu&#x017F;chen, &#x017F;agte er darauf wieder<lb/>
ge&#x017F;ammelt und ruhig. Wo i&#x017F;t die Frau vom Hau¬<lb/>
&#x017F;e? fragte Leontin wieder. Sie i&#x017F;t heut noch vor<lb/>
Tagesanbruch &#x017F;chnell fortgereist und kommt &#x017F;o bald<lb/>
nicht zurück, antwortete der Bediente und entfernte<lb/>
&#x017F;ich mit einer eiligen Verbeugung, als wollte er<lb/>
allen ferneren Fragen ausweichen.</p><lb/>
          <p>Unruhig kehrte nun Leontin wieder zu Friedrich<lb/>
zurück, gegen den er von dem ganzen lezten Vor¬<lb/>
falle nichts erwähnte. Weder der Bediente, noch<lb/>
auch das zierliche, &#x017F;cheue Mädchen, das &#x017F;ie vorhin<lb/>
&#x017F;chlummernd angetroffen, zeigte &#x017F;ich mehr, und &#x017F;o<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0154] auch Erwin in der Nacht geſungen, und das er ſonſt nirgends wieder gehört hatte. Leontin war indeß in das erſte Zimmer hinein¬ getreten, deſſen Thüre halb geöffnet ſtand. Er warf einen flüchtigen Blick durch das Gemach. Ein al¬ tes, auf Holz gemahltes Ritterbild hing dort an der Wand, über welche der Abend zuckend die lez¬ ten ungewiſſen Strahlen warf. Leontin trat erſchüt¬ tert zurück, denn er erkannte auf einmal das be¬ leuchtete Geſicht des Bildes. In demſelben Augen¬ blick trat ein alter Bediente von der anderen Sei¬ te in das Zimmer und ſchien heftig zu erſchrecken, als er Leontin anſah. Um Gotteswillen, rief Leon¬ tin ihm zu, ſagen Sie mir, wer iſt der Ritter dort? Der Alte entfärbte ſich und ſah ihn lange ernſthaft und forſchend an. Das Bild iſt vor meh¬ reren hundert Jahren gemahlt, eine zufällige Aehn¬ lichkeit muß Sie täuſchen, ſagte er darauf wieder geſammelt und ruhig. Wo iſt die Frau vom Hau¬ ſe? fragte Leontin wieder. Sie iſt heut noch vor Tagesanbruch ſchnell fortgereist und kommt ſo bald nicht zurück, antwortete der Bediente und entfernte ſich mit einer eiligen Verbeugung, als wollte er allen ferneren Fragen ausweichen. Unruhig kehrte nun Leontin wieder zu Friedrich zurück, gegen den er von dem ganzen lezten Vor¬ falle nichts erwähnte. Weder der Bediente, noch auch das zierliche, ſcheue Mädchen, das ſie vorhin ſchlummernd angetroffen, zeigte ſich mehr, und ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/154
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/154>, abgerufen am 26.04.2024.