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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Anblicke still und athmeten tief über dem Wellen¬
rauschen. Hier bog plötzlich ein anderes fremdes
Schiff, daß sie lange in weiter Entfernung verfolgt
hatte, hinter ihnen um die Felsenecke. Eine hohe,
junge, weibliche Gestalt stand ganz vorn auf dem
Verdecke und sah unverwandt in den Wirbel hinab.
Die Studenten waren von der plötzlichen Erscheinung
in dieser dunkelgrünen Oede überrascht und brachen
einmüthig in ein freudiges Hurrah aus, daß es
weit an den Bergen hinunterschallte. Da sah das
Mädchen auf einmal auf, und ihre Augen begegne¬
ten Friedrichs Blicken. Er fuhr innerlichst zu¬
sammen. Denn es war, als deckten ihre Blicke
plötzlich eine neue Welt von blühender Wunder¬
pracht, uralten Erinnerungen und niegekannten
Wünschen in seinem Herzen auf. Er stand lange
in ihrem Anblick versunken, und bemerkte kaum,
wie indeß der Strom nun wieder ruhiger geworden
war und zu beiden Seiten schöne Schlösser, Dör¬
fer und Wiesen vorüberflogen, aus denen der
Wind das Geläute weidender Heerden herüber¬
wehte.

Sie fuhren so eben an einer kleinen Stadt
vorüber. Hart am Ufer war eine Promenade mit
Alleen. Herren und Damen giengen im Sonntags¬
putze spazieren, führten einander, lachten, grüßten
und verbeugten sich hin und wieder, und eine lusti¬
ge Musik schallte aus dem bunten, fröhlichen
Schwalle. Das Schiff, worauf die schöne Unbe¬
kannte stand, folgte unseren Reisenden immerfort

Anblicke ſtill und athmeten tief über dem Wellen¬
rauſchen. Hier bog plötzlich ein anderes fremdes
Schiff, daß ſie lange in weiter Entfernung verfolgt
hatte, hinter ihnen um die Felſenecke. Eine hohe,
junge, weibliche Geſtalt ſtand ganz vorn auf dem
Verdecke und ſah unverwandt in den Wirbel hinab.
Die Studenten waren von der plötzlichen Erſcheinung
in dieſer dunkelgrünen Oede überraſcht und brachen
einmüthig in ein freudiges Hurrah aus, daß es
weit an den Bergen hinunterſchallte. Da ſah das
Mädchen auf einmal auf, und ihre Augen begegne¬
ten Friedrichs Blicken. Er fuhr innerlichſt zu¬
ſammen. Denn es war, als deckten ihre Blicke
plötzlich eine neue Welt von blühender Wunder¬
pracht, uralten Erinnerungen und niegekannten
Wünſchen in ſeinem Herzen auf. Er ſtand lange
in ihrem Anblick verſunken, und bemerkte kaum,
wie indeß der Strom nun wieder ruhiger geworden
war und zu beiden Seiten ſchöne Schlöſſer, Dör¬
fer und Wieſen vorüberflogen, aus denen der
Wind das Geläute weidender Heerden herüber¬
wehte.

Sie fuhren ſo eben an einer kleinen Stadt
vorüber. Hart am Ufer war eine Promenade mit
Alleen. Herren und Damen giengen im Sonntags¬
putze ſpazieren, führten einander, lachten, grüßten
und verbeugten ſich hin und wieder, und eine luſti¬
ge Muſik ſchallte aus dem bunten, fröhlichen
Schwalle. Das Schiff, worauf die ſchöne Unbe¬
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[11/0017] Anblicke ſtill und athmeten tief über dem Wellen¬ rauſchen. Hier bog plötzlich ein anderes fremdes Schiff, daß ſie lange in weiter Entfernung verfolgt hatte, hinter ihnen um die Felſenecke. Eine hohe, junge, weibliche Geſtalt ſtand ganz vorn auf dem Verdecke und ſah unverwandt in den Wirbel hinab. Die Studenten waren von der plötzlichen Erſcheinung in dieſer dunkelgrünen Oede überraſcht und brachen einmüthig in ein freudiges Hurrah aus, daß es weit an den Bergen hinunterſchallte. Da ſah das Mädchen auf einmal auf, und ihre Augen begegne¬ ten Friedrichs Blicken. Er fuhr innerlichſt zu¬ ſammen. Denn es war, als deckten ihre Blicke plötzlich eine neue Welt von blühender Wunder¬ pracht, uralten Erinnerungen und niegekannten Wünſchen in ſeinem Herzen auf. Er ſtand lange in ihrem Anblick verſunken, und bemerkte kaum, wie indeß der Strom nun wieder ruhiger geworden war und zu beiden Seiten ſchöne Schlöſſer, Dör¬ fer und Wieſen vorüberflogen, aus denen der Wind das Geläute weidender Heerden herüber¬ wehte. Sie fuhren ſo eben an einer kleinen Stadt vorüber. Hart am Ufer war eine Promenade mit Alleen. Herren und Damen giengen im Sonntags¬ putze ſpazieren, führten einander, lachten, grüßten und verbeugten ſich hin und wieder, und eine luſti¬ ge Muſik ſchallte aus dem bunten, fröhlichen Schwalle. Das Schiff, worauf die ſchöne Unbe¬ kannte ſtand, folgte unſeren Reiſenden immerfort

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/17>, abgerufen am 26.04.2024.