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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

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terdegen und drang sinnlos auf Victor'n ein. Dieser
schleuderte den Wüthenden weit von sich, daß ihm der
Degen entfiel. Ruhig! rief er, und bedenke meine
Worte, ehe alles zu spät! Mich aber laß', ich habe
mit mir selbst zu fechten, Gott gnad' uns beiden! --
So eilte er aus dem Hause fort.

Draußen auf der leeren Gasse hörte man noch
Kordelchen klagen, die ihm betroffen nachgestürzt. Lo¬
thario! rief sie außer sich, lieber, schöner, verrückter
Lothario! ich bitt' dich um Gotteswillen, kehre um,
nur noch ein einzigesmal komm zurück! Es ist ja
alles nicht wahr, was die Leute sagen, ich war dir
immer im Herzen treu, was kann ich dafür, daß ich
arm und schön bin? Ach verlaß' mich nicht, ich habe
sonst niemanden auf der Welt! Wickle mich in's
Schnupftuch, steck' mich in deine Rocktasche, wenn du
mir nicht traust, ich will still sitzen und dich ansehen,
wenn du mich nur wieder lieb hast, du wilder, ab¬
scheulicher Kerl! -- So bat sie rührend, lachte und
schimpfte, bis sie zuletzt unaufhaltsam in heftiges Wei¬
nen ausbrach.

Aber Victor hörte sie nicht mehr. Er trat aus
dem dunklen Stadtthor, einzelne Morgenstreifen zuckten
schon über die stille Gegend. -- Durch seine Seele
gingen übermächtige Gedanken. Aus der tiefen Nacht
seines Grams stieg allmählig Stern auf Stern, ihm
war, als müßt' nun alles anders werden.


terdegen und drang ſinnlos auf Victor'n ein. Dieſer
ſchleuderte den Wuͤthenden weit von ſich, daß ihm der
Degen entfiel. Ruhig! rief er, und bedenke meine
Worte, ehe alles zu ſpaͤt! Mich aber laß', ich habe
mit mir ſelbſt zu fechten, Gott gnad' uns beiden! —
So eilte er aus dem Hauſe fort.

Draußen auf der leeren Gaſſe hoͤrte man noch
Kordelchen klagen, die ihm betroffen nachgeſtuͤrzt. Lo¬
thario! rief ſie außer ſich, lieber, ſchoͤner, verruͤckter
Lothario! ich bitt' dich um Gotteswillen, kehre um,
nur noch ein einzigesmal komm zuruͤck! Es iſt ja
alles nicht wahr, was die Leute ſagen, ich war dir
immer im Herzen treu, was kann ich dafuͤr, daß ich
arm und ſchoͤn bin? Ach verlaß’ mich nicht, ich habe
ſonſt niemanden auf der Welt! Wickle mich in's
Schnupftuch, ſteck' mich in deine Rocktaſche, wenn du
mir nicht trauſt, ich will ſtill ſitzen und dich anſehen,
wenn du mich nur wieder lieb haſt, du wilder, ab¬
ſcheulicher Kerl! — So bat ſie ruͤhrend, lachte und
ſchimpfte, bis ſie zuletzt unaufhaltſam in heftiges Wei¬
nen ausbrach.

Aber Victor hoͤrte ſie nicht mehr. Er trat aus
dem dunklen Stadtthor, einzelne Morgenſtreifen zuckten
ſchon uͤber die ſtille Gegend. — Durch ſeine Seele
gingen uͤbermaͤchtige Gedanken. Aus der tiefen Nacht
ſeines Grams ſtieg allmaͤhlig Stern auf Stern, ihm
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[262/0269] terdegen und drang ſinnlos auf Victor'n ein. Dieſer ſchleuderte den Wuͤthenden weit von ſich, daß ihm der Degen entfiel. Ruhig! rief er, und bedenke meine Worte, ehe alles zu ſpaͤt! Mich aber laß', ich habe mit mir ſelbſt zu fechten, Gott gnad' uns beiden! — So eilte er aus dem Hauſe fort. Draußen auf der leeren Gaſſe hoͤrte man noch Kordelchen klagen, die ihm betroffen nachgeſtuͤrzt. Lo¬ thario! rief ſie außer ſich, lieber, ſchoͤner, verruͤckter Lothario! ich bitt' dich um Gotteswillen, kehre um, nur noch ein einzigesmal komm zuruͤck! Es iſt ja alles nicht wahr, was die Leute ſagen, ich war dir immer im Herzen treu, was kann ich dafuͤr, daß ich arm und ſchoͤn bin? Ach verlaß’ mich nicht, ich habe ſonſt niemanden auf der Welt! Wickle mich in's Schnupftuch, ſteck' mich in deine Rocktaſche, wenn du mir nicht trauſt, ich will ſtill ſitzen und dich anſehen, wenn du mich nur wieder lieb haſt, du wilder, ab¬ ſcheulicher Kerl! — So bat ſie ruͤhrend, lachte und ſchimpfte, bis ſie zuletzt unaufhaltſam in heftiges Wei¬ nen ausbrach. Aber Victor hoͤrte ſie nicht mehr. Er trat aus dem dunklen Stadtthor, einzelne Morgenſtreifen zuckten ſchon uͤber die ſtille Gegend. — Durch ſeine Seele gingen uͤbermaͤchtige Gedanken. Aus der tiefen Nacht ſeines Grams ſtieg allmaͤhlig Stern auf Stern, ihm war, als muͤßt' nun alles anders werden.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/269>, abgerufen am 26.04.2024.