Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

zierlicher Jägertracht an den Mast gelehnt, er hatte
eine Zitter im Arm, die er in der Kajüte gefunden,
ihm zu Füßen saß ein anderer hübscher Junge. Beide
konnte man für Schüler halten, die zur Vacanz rei¬
sten, und es war anmuthig zu sehen, wie die fröhli¬
chen Bilder, bald im kühlen Schatten der Felsen,
bald von der Abendsonne hellbeschienen, zwischen den
wechselnden Landschaften dahinflogen. Der eine am
Mast blickte frisch unter seinem Reisehut in das Grün
hinaus und sang:

Sie stand wohl am Fensterbogen
Und flocht sich traurig ihr Haar,
Der Jäger war fortgezogen,
Der Jäger ihr Liebster war.
Und als der Frühling gekommen,
Die Welt war von Blüten verschneit,
Da hat sie ein Herz sich genommen
Und ging in die grüne Haid.
Sie legt das Ohr an den Rasen,
Hört ferner Hufe Klang --
Das sind die Rehe, die grasen
Am schattigen Bergeshang.
Und Abends die Wälder rauschen,
Von fern nur fällt noch ein Schuß,
Da steht sie stille, zu lauschen:
"Das war meines Liebsten Gruß!"
Da sprangen vom Fels die Quellen,
Da flogen die Vöglein in's Thal.
"Und wo ihr ihn trefft, ihr Gesellen,
Grüßt mir ihn tausendmal!"

zierlicher Jaͤgertracht an den Maſt gelehnt, er hatte
eine Zitter im Arm, die er in der Kajuͤte gefunden,
ihm zu Fuͤßen ſaß ein anderer huͤbſcher Junge. Beide
konnte man fuͤr Schuͤler halten, die zur Vacanz rei¬
ſten, und es war anmuthig zu ſehen, wie die froͤhli¬
chen Bilder, bald im kuͤhlen Schatten der Felſen,
bald von der Abendſonne hellbeſchienen, zwiſchen den
wechſelnden Landſchaften dahinflogen. Der eine am
Maſt blickte friſch unter ſeinem Reiſehut in das Gruͤn
hinaus und ſang:

Sie ſtand wohl am Fenſterbogen
Und flocht ſich traurig ihr Haar,
Der Jaͤger war fortgezogen,
Der Jaͤger ihr Liebſter war.
Und als der Fruͤhling gekommen,
Die Welt war von Bluͤten verſchneit,
Da hat ſie ein Herz ſich genommen
Und ging in die gruͤne Haid.
Sie legt das Ohr an den Raſen,
Hoͤrt ferner Hufe Klang —
Das ſind die Rehe, die graſen
Am ſchattigen Bergeshang.
Und Abends die Waͤlder rauſchen,
Von fern nur faͤllt noch ein Schuß,
Da ſteht ſie ſtille, zu lauſchen:
„Das war meines Liebſten Gruß!“
Da ſprangen vom Fels die Quellen,
Da flogen die Voͤglein in's Thal.
„Und wo ihr ihn trefft, ihr Geſellen,
Gruͤßt mir ihn tauſendmal!“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0297" n="290"/>
zierlicher Ja&#x0364;gertracht an den Ma&#x017F;t gelehnt, er hatte<lb/>
eine Zitter im Arm, die er in der Kaju&#x0364;te gefunden,<lb/>
ihm zu Fu&#x0364;ßen &#x017F;aß ein anderer hu&#x0364;b&#x017F;cher Junge. Beide<lb/>
konnte man fu&#x0364;r Schu&#x0364;ler halten, die zur Vacanz rei¬<lb/>
&#x017F;ten, und es war anmuthig zu &#x017F;ehen, wie die fro&#x0364;hli¬<lb/>
chen Bilder, bald im ku&#x0364;hlen Schatten der Fel&#x017F;en,<lb/>
bald von der Abend&#x017F;onne hellbe&#x017F;chienen, zwi&#x017F;chen den<lb/>
wech&#x017F;elnden Land&#x017F;chaften dahinflogen. Der eine am<lb/>
Ma&#x017F;t blickte fri&#x017F;ch unter &#x017F;einem Rei&#x017F;ehut in das Gru&#x0364;n<lb/>
hinaus und &#x017F;ang:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l rendition="#et">Sie &#x017F;tand wohl am Fen&#x017F;terbogen</l><lb/>
              <l>Und flocht &#x017F;ich traurig ihr Haar,</l><lb/>
              <l>Der Ja&#x0364;ger war fortgezogen,</l><lb/>
              <l>Der Ja&#x0364;ger ihr Lieb&#x017F;ter war.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l rendition="#et">Und als der Fru&#x0364;hling gekommen,</l><lb/>
              <l>Die Welt war von Blu&#x0364;ten ver&#x017F;chneit,</l><lb/>
              <l>Da hat &#x017F;ie ein Herz &#x017F;ich genommen</l><lb/>
              <l>Und ging in die gru&#x0364;ne Haid.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l rendition="#et">Sie legt das Ohr an den Ra&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Ho&#x0364;rt ferner Hufe Klang &#x2014;</l><lb/>
              <l>Das &#x017F;ind die Rehe, die gra&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Am &#x017F;chattigen Bergeshang.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l rendition="#et">Und Abends die Wa&#x0364;lder rau&#x017F;chen,</l><lb/>
              <l>Von fern nur fa&#x0364;llt noch ein Schuß,</l><lb/>
              <l>Da &#x017F;teht &#x017F;ie &#x017F;tille, zu lau&#x017F;chen:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Das war meines Lieb&#x017F;ten Gruß!&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l rendition="#et">Da &#x017F;prangen vom Fels die Quellen,</l><lb/>
              <l>Da flogen die Vo&#x0364;glein in's Thal.</l><lb/>
              <l>&#x201E;Und wo ihr ihn trefft, ihr Ge&#x017F;ellen,</l><lb/>
              <l>Gru&#x0364;ßt mir ihn tau&#x017F;endmal!&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[290/0297] zierlicher Jaͤgertracht an den Maſt gelehnt, er hatte eine Zitter im Arm, die er in der Kajuͤte gefunden, ihm zu Fuͤßen ſaß ein anderer huͤbſcher Junge. Beide konnte man fuͤr Schuͤler halten, die zur Vacanz rei¬ ſten, und es war anmuthig zu ſehen, wie die froͤhli¬ chen Bilder, bald im kuͤhlen Schatten der Felſen, bald von der Abendſonne hellbeſchienen, zwiſchen den wechſelnden Landſchaften dahinflogen. Der eine am Maſt blickte friſch unter ſeinem Reiſehut in das Gruͤn hinaus und ſang: Sie ſtand wohl am Fenſterbogen Und flocht ſich traurig ihr Haar, Der Jaͤger war fortgezogen, Der Jaͤger ihr Liebſter war. Und als der Fruͤhling gekommen, Die Welt war von Bluͤten verſchneit, Da hat ſie ein Herz ſich genommen Und ging in die gruͤne Haid. Sie legt das Ohr an den Raſen, Hoͤrt ferner Hufe Klang — Das ſind die Rehe, die graſen Am ſchattigen Bergeshang. Und Abends die Waͤlder rauſchen, Von fern nur faͤllt noch ein Schuß, Da ſteht ſie ſtille, zu lauſchen: „Das war meines Liebſten Gruß!“ Da ſprangen vom Fels die Quellen, Da flogen die Voͤglein in's Thal. „Und wo ihr ihn trefft, ihr Geſellen, Gruͤßt mir ihn tauſendmal!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/297
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/297>, abgerufen am 26.04.2024.