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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

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Da hast Du, Falscher, mich verlassen
Und Blumen, Lust und Frühlingsschein,
Die ganze Welt sah ich erblassen,
Ach Gott, wie bin ich nun allein!
Wohl Jahrlang sah ich von den Höhen
Und grüßte Dich vieltausendmal,
Und unten sah ich Viele gehen,
Doch Du erschienst nicht in dem Thal.
Und mancher Lenz mit bunten Scherzen
Kam und verflog im lust'gen Lauf,
Doch ach! in dem betrognen Herzen
Geht niemals mehr der Frühling auf.
Ein Kränzlein trag' ich nun im Haare,
In reichen Kleidern schön geschmückt,
Führt mich ein andrer zum Altare,
Die Aeltern sind so hoch beglückt.
Und fröhlich kann ich mich wohl zeigen,
Die Sonne hell wie damals scheint,
Und vor dem Jauchzen und dem Geigen
Hört Keiner, wie die Braut still weint.
Die Frühlingslieder neu beginnen --
Du kehrst nach manchem Jahr' zurück,
Und stehest still, Dich zu besinnen,
Wie auf ein längstvergangnes Glück.
Doch wüstverwachsen liegt der Garten,
Das Haus steht lange still und leer,
Kein Lieb' will Dein am Fenster warten,
Und Dich und mich kennt Niemand mehr.
Da haſt Du, Falſcher, mich verlaſſen
Und Blumen, Luſt und Fruͤhlingsſchein,
Die ganze Welt ſah ich erblaſſen,
Ach Gott, wie bin ich nun allein!
Wohl Jahrlang ſah ich von den Hoͤhen
Und gruͤßte Dich vieltauſendmal,
Und unten ſah ich Viele gehen,
Doch Du erſchienſt nicht in dem Thal.
Und mancher Lenz mit bunten Scherzen
Kam und verflog im luſt'gen Lauf,
Doch ach! in dem betrognen Herzen
Geht niemals mehr der Fruͤhling auf.
Ein Kraͤnzlein trag' ich nun im Haare,
In reichen Kleidern ſchoͤn geſchmuͤckt,
Fuͤhrt mich ein andrer zum Altare,
Die Aeltern ſind ſo hoch begluͤckt.
Und froͤhlich kann ich mich wohl zeigen,
Die Sonne hell wie damals ſcheint,
Und vor dem Jauchzen und dem Geigen
Hoͤrt Keiner, wie die Braut ſtill weint.
Die Fruͤhlingslieder neu beginnen —
Du kehrſt nach manchem Jahr' zuruͤck,
Und ſteheſt ſtill, Dich zu beſinnen,
Wie auf ein laͤngſtvergangnes Gluͤck.
Doch wuͤſtverwachſen liegt der Garten,
Das Haus ſteht lange ſtill und leer,
Kein Lieb' will Dein am Fenſter warten,
Und Dich und mich kennt Niemand mehr.
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[226/0236] Da haſt Du, Falſcher, mich verlaſſen Und Blumen, Luſt und Fruͤhlingsſchein, Die ganze Welt ſah ich erblaſſen, Ach Gott, wie bin ich nun allein! Wohl Jahrlang ſah ich von den Hoͤhen Und gruͤßte Dich vieltauſendmal, Und unten ſah ich Viele gehen, Doch Du erſchienſt nicht in dem Thal. Und mancher Lenz mit bunten Scherzen Kam und verflog im luſt'gen Lauf, Doch ach! in dem betrognen Herzen Geht niemals mehr der Fruͤhling auf. Ein Kraͤnzlein trag' ich nun im Haare, In reichen Kleidern ſchoͤn geſchmuͤckt, Fuͤhrt mich ein andrer zum Altare, Die Aeltern ſind ſo hoch begluͤckt. Und froͤhlich kann ich mich wohl zeigen, Die Sonne hell wie damals ſcheint, Und vor dem Jauchzen und dem Geigen Hoͤrt Keiner, wie die Braut ſtill weint. Die Fruͤhlingslieder neu beginnen — Du kehrſt nach manchem Jahr' zuruͤck, Und ſteheſt ſtill, Dich zu beſinnen, Wie auf ein laͤngſtvergangnes Gluͤck. Doch wuͤſtverwachſen liegt der Garten, Das Haus ſteht lange ſtill und leer, Kein Lieb' will Dein am Fenſter warten, Und Dich und mich kennt Niemand mehr.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/236>, abgerufen am 26.04.2024.