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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
gung. Die Schuhe verlieren die unmäßige Breite, und, anschei-
nend natürlicher, decken sie mehr den Fuß und laufen in eine zier-
liche Spitze aus. Auch die Schaube muß sich beugen und von ihrer
freien, stattlichen Weite einbüßen; sie nimmt so eine conventio-
nellere Form an und, Schritt um Schritt aus den Höhen der
Gesellschaft zurückgedrängt, muß sie sich auf die städtischen Kreise
beschränken. -- Bei den Frauen verschwinden aufs neue die sich
vordrängenden Locken unter der Haube, und das Barett wandelt
sich bei ihnen um wie bei den Männern, um endlich mehr frauen-
mäßigen Kopftrachten zu weichen. Wie das Kleid zum Halse
emporwächst und die entblößte Brust völlig und dauernd verdeckt,
schließt es sich auch enger und steifer um die Glieder, weiset am
Rock allen überflüssigen Stoff, allen Faltenwurf ab, er sei denn
ein künstlicher, und wächst gar wieder aus in unnatürliche, die
Schönheit des menschlichen Körpers entstellende Formen.

Obwohl diese Reaction um das Jahr 1550 noch keineswegs
vollendet oder nur ihrem Höhepunkt nahe ist, so ist sie doch in
allen Theilen deutlich ausgesprochen und leicht erkennbar. Es
ist wie ein allgemeiner Rückzug, auf dem freilich ein guter Theil
der Beute früherer Siege mitgeführt wird, der aber eine ganz
andere Richtung nimmt, als zurück zum Ausgang der Bewegung.
Die Ursachen lagen im Wechsel der Zeit, in dem eigenen Innern
des Volkslebens tief begründet, aber die Formen, in welche die
Reaction sich verkörperte, kamen großentheils von außen her.
Wie die politisch-religiöse Bewegung in den romanischen Ländern
einen ganz anderen Weg eingeschlagen und ein anderes und meist
rasches Ende gefunden hatte, so war auch dort die Umgestaltung
der Trachten, die von denselben Formen in demselben Geiste
ihren Ausgang genommen, mitten in ihrer Entwicklung gehemmt
und zu ganz anderem Resultat und anderen Formen gelangt,
welche nun in Deutschland auf vorbereitetem Boden zum Kampfe
auftraten.


III. Die Neuzeit.
gung. Die Schuhe verlieren die unmäßige Breite, und, anſchei-
nend natürlicher, decken ſie mehr den Fuß und laufen in eine zier-
liche Spitze aus. Auch die Schaube muß ſich beugen und von ihrer
freien, ſtattlichen Weite einbüßen; ſie nimmt ſo eine conventio-
nellere Form an und, Schritt um Schritt aus den Höhen der
Geſellſchaft zurückgedrängt, muß ſie ſich auf die ſtädtiſchen Kreiſe
beſchränken. — Bei den Frauen verſchwinden aufs neue die ſich
vordrängenden Locken unter der Haube, und das Barett wandelt
ſich bei ihnen um wie bei den Männern, um endlich mehr frauen-
mäßigen Kopftrachten zu weichen. Wie das Kleid zum Halſe
emporwächſt und die entblößte Bruſt völlig und dauernd verdeckt,
ſchließt es ſich auch enger und ſteifer um die Glieder, weiſet am
Rock allen überflüſſigen Stoff, allen Faltenwurf ab, er ſei denn
ein künſtlicher, und wächſt gar wieder aus in unnatürliche, die
Schönheit des menſchlichen Körpers entſtellende Formen.

Obwohl dieſe Reaction um das Jahr 1550 noch keineswegs
vollendet oder nur ihrem Höhepunkt nahe iſt, ſo iſt ſie doch in
allen Theilen deutlich ausgeſprochen und leicht erkennbar. Es
iſt wie ein allgemeiner Rückzug, auf dem freilich ein guter Theil
der Beute früherer Siege mitgeführt wird, der aber eine ganz
andere Richtung nimmt, als zurück zum Ausgang der Bewegung.
Die Urſachen lagen im Wechſel der Zeit, in dem eigenen Innern
des Volkslebens tief begründet, aber die Formen, in welche die
Reaction ſich verkörperte, kamen großentheils von außen her.
Wie die politiſch-religiöſe Bewegung in den romaniſchen Ländern
einen ganz anderen Weg eingeſchlagen und ein anderes und meiſt
raſches Ende gefunden hatte, ſo war auch dort die Umgeſtaltung
der Trachten, die von denſelben Formen in demſelben Geiſte
ihren Ausgang genommen, mitten in ihrer Entwicklung gehemmt
und zu ganz anderem Reſultat und anderen Formen gelangt,
welche nun in Deutſchland auf vorbereitetem Boden zum Kampfe
auftraten.


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[80/0092] III. Die Neuzeit. gung. Die Schuhe verlieren die unmäßige Breite, und, anſchei- nend natürlicher, decken ſie mehr den Fuß und laufen in eine zier- liche Spitze aus. Auch die Schaube muß ſich beugen und von ihrer freien, ſtattlichen Weite einbüßen; ſie nimmt ſo eine conventio- nellere Form an und, Schritt um Schritt aus den Höhen der Geſellſchaft zurückgedrängt, muß ſie ſich auf die ſtädtiſchen Kreiſe beſchränken. — Bei den Frauen verſchwinden aufs neue die ſich vordrängenden Locken unter der Haube, und das Barett wandelt ſich bei ihnen um wie bei den Männern, um endlich mehr frauen- mäßigen Kopftrachten zu weichen. Wie das Kleid zum Halſe emporwächſt und die entblößte Bruſt völlig und dauernd verdeckt, ſchließt es ſich auch enger und ſteifer um die Glieder, weiſet am Rock allen überflüſſigen Stoff, allen Faltenwurf ab, er ſei denn ein künſtlicher, und wächſt gar wieder aus in unnatürliche, die Schönheit des menſchlichen Körpers entſtellende Formen. Obwohl dieſe Reaction um das Jahr 1550 noch keineswegs vollendet oder nur ihrem Höhepunkt nahe iſt, ſo iſt ſie doch in allen Theilen deutlich ausgeſprochen und leicht erkennbar. Es iſt wie ein allgemeiner Rückzug, auf dem freilich ein guter Theil der Beute früherer Siege mitgeführt wird, der aber eine ganz andere Richtung nimmt, als zurück zum Ausgang der Bewegung. Die Urſachen lagen im Wechſel der Zeit, in dem eigenen Innern des Volkslebens tief begründet, aber die Formen, in welche die Reaction ſich verkörperte, kamen großentheils von außen her. Wie die politiſch-religiöſe Bewegung in den romaniſchen Ländern einen ganz anderen Weg eingeſchlagen und ein anderes und meiſt raſches Ende gefunden hatte, ſo war auch dort die Umgeſtaltung der Trachten, die von denſelben Formen in demſelben Geiſte ihren Ausgang genommen, mitten in ihrer Entwicklung gehemmt und zu ganz anderem Reſultat und anderen Formen gelangt, welche nun in Deutſchland auf vorbereitetem Boden zum Kampfe auftraten.

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/92>, abgerufen am 26.04.2024.