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Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

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V. d. Gründen d. absoluten Strafbarkeit.
oder eine von derselben abweichende gelindere
(ausserordentliche) Strafe anwendet *).


II.
*) Neuere geben zwar zu, dass man bey unvollkomm-
nem Beweis nicht strafen dürfe; aber sie erkennen
doch als Richter auf Sicherungsmittel, wovon sich sehr
viele Beyspiele in den Hallischen Rechtssprüchen von
Klein finden. Wer macht denn den Richter zum
Polizey meister? wer gab ihm, der doch nur Cri-
minalgesetze anzuwenden
hat, das Recht, Verfügungen
zur künftigen Sicherheit des Staats zu treffen? --
Die Gründe, mit denen man bisher die Einwen-
dungen gegen diese Anmassung erwiedert hat, sind
von der Art, dass man sie füglich ihrem eignen
Schicksal überlassen kann. -- Dass bey unvoll-
ständigem Beweis nicht auf Strafe erkannt werden
dürfe, erklären selbst ausdrückliche Gesetze. L. 5.
D. de poenis L. 16. C. eod. L. 4. C. si ex falsis instru-
mentis
. Wenn man andere dagegen anführt, und
glaubt, dass sich wenigstens das R. R. nicht gleich
sey, da es auch Verdammung ex manifesta side et
indiciis evidentibus -- ex indiciis ad probationem indu-
bitatis et luce clarioribus
zulasse, wie L. 34. C. ad
L. Iul. de adult und L. 5. C. de probationibus; so irrt
man sehr. Diese Gesetze erlauben keineswegs einen
unvollkommenen Beweis, sondern sie verlangen
einen vollkommnen Beweis, nemlich einen vollkomm-
nen künstlichen Beweis, welches die Worte selbst
hinlänglich beweisen. Nach dem RR entsteht also
auch aus dem Zusammenfluss von Indicien eine
volle juridische Gewissheit und blos unter Voraus-
setzung einer solchen Gewissheit erkennt es ein
Recht zu Strafe. -- Allein unsre deutsche Gesetz-
gebung P. G. O. Art. 22. schränkt die juridische
Gewissheit in Ansehung der Bestrafung auf einen
nichtkünstlichen Beweis ein, indem sie verordnet,
"dass niemand auf einigerley Anzeigung, Argwohns
Wahrzeichen, oder Verdacht endlich zu peinlicher Strafe
soll verurtheilt werden
." Nach deutschem Recht kann
daher auch dann nicht gestraft werden, wenn selbst
voller

V. d. Gründen d. abſoluten Strafbarkeit.
oder eine von derſelben abweichende gelindere
(auſſerordentliche) Strafe anwendet *).


II.
*) Neuere geben zwar zu, daſs man bey unvollkomm-
nem Beweis nicht ſtrafen dürfe; aber ſie erkennen
doch als Richter auf Sicherungsmittel, wovon ſich ſehr
viele Beyſpiele in den Halliſchen Rechtsſprüchen von
Klein finden. Wer macht denn den Richter zum
Polizey meiſter? wer gab ihm, der doch nur Cri-
minalgeſetze anzuwenden
hat, das Recht, Verfügungen
zur künftigen Sicherheit des Staats zu treffen? —
Die Gründe, mit denen man bisher die Einwen-
dungen gegen dieſe Anmaſsung erwiedert hat, ſind
von der Art, daſs man ſie füglich ihrem eignen
Schickſal überlaſſen kann. — Daſs bey unvoll-
ſtändigem Beweis nicht auf Strafe erkannt werden
dürfe, erklären ſelbſt ausdrückliche Geſetze. L. 5.
D. de poenis L. 16. C. eod. L. 4. C. ſi ex falſis inſtru-
mentis
. Wenn man andere dagegen anführt, und
glaubt, daſs ſich wenigſtens das R. R. nicht gleich
ſey, da es auch Verdammung ex manifeſta ſide et
indiciis evidentibus — ex indiciis ad probationem indu-
bitatis et luce clarioribus
zulaſſe, wie L. 34. C. ad
L. Iul. de adult und L. 5. C. de probationibus; ſo irrt
man ſehr. Dieſe Geſetze erlauben keineswegs einen
unvollkommenen Beweis, ſondern ſie verlangen
einen vollkommnen Beweis, nemlich einen vollkomm-
nen künſtlichen Beweis, welches die Worte ſelbſt
hinlänglich beweiſen. Nach dem RR entſteht alſo
auch aus dem Zuſammenfluſs von Indicien eine
volle juridiſche Gewiſsheit und blos unter Voraus-
ſetzung einer ſolchen Gewiſsheit erkennt es ein
Recht zu Strafe. — Allein unſre deutſche Geſetz-
gebung P. G. O. Art. 22. ſchränkt die juridiſche
Gewiſsheit in Anſehung der Beſtrafung auf einen
nichtkünſtlichen Beweis ein, indem ſie verordnet,
daſs niemand auf einigerley Anzeigung, Argwohns
Wahrzeichen, oder Verdacht endlich zu peinlicher Strafe
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.“ Nach deutſchem Recht kann
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[71/0099] V. d. Gründen d. abſoluten Strafbarkeit. oder eine von derſelben abweichende gelindere (auſſerordentliche) Strafe anwendet *). II. *) Neuere geben zwar zu, daſs man bey unvollkomm- nem Beweis nicht ſtrafen dürfe; aber ſie erkennen doch als Richter auf Sicherungsmittel, wovon ſich ſehr viele Beyſpiele in den Halliſchen Rechtsſprüchen von Klein finden. Wer macht denn den Richter zum Polizey meiſter? wer gab ihm, der doch nur Cri- minalgeſetze anzuwenden hat, das Recht, Verfügungen zur künftigen Sicherheit des Staats zu treffen? — Die Gründe, mit denen man bisher die Einwen- dungen gegen dieſe Anmaſsung erwiedert hat, ſind von der Art, daſs man ſie füglich ihrem eignen Schickſal überlaſſen kann. — Daſs bey unvoll- ſtändigem Beweis nicht auf Strafe erkannt werden dürfe, erklären ſelbſt ausdrückliche Geſetze. L. 5. D. de poenis L. 16. C. eod. L. 4. C. ſi ex falſis inſtru- mentis. Wenn man andere dagegen anführt, und glaubt, daſs ſich wenigſtens das R. R. nicht gleich ſey, da es auch Verdammung ex manifeſta ſide et indiciis evidentibus — ex indiciis ad probationem indu- bitatis et luce clarioribus zulaſſe, wie L. 34. C. ad L. Iul. de adult und L. 5. C. de probationibus; ſo irrt man ſehr. Dieſe Geſetze erlauben keineswegs einen unvollkommenen Beweis, ſondern ſie verlangen einen vollkommnen Beweis, nemlich einen vollkomm- nen künſtlichen Beweis, welches die Worte ſelbſt hinlänglich beweiſen. Nach dem RR entſteht alſo auch aus dem Zuſammenfluſs von Indicien eine volle juridiſche Gewiſsheit und blos unter Voraus- ſetzung einer ſolchen Gewiſsheit erkennt es ein Recht zu Strafe. — Allein unſre deutſche Geſetz- gebung P. G. O. Art. 22. ſchränkt die juridiſche Gewiſsheit in Anſehung der Beſtrafung auf einen nichtkünſtlichen Beweis ein, indem ſie verordnet, „daſs niemand auf einigerley Anzeigung, Argwohns Wahrzeichen, oder Verdacht endlich zu peinlicher Strafe ſoll verurtheilt werden.“ Nach deutſchem Recht kann daher auch dann nicht geſtraft werden, wenn ſelbſt voller

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Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/99>, abgerufen am 26.04.2024.