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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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mit vieren zu fahren. Es geschah, und alle Theile hatten
ihren Frieden.

Das Leben in Friedrichsfelde war um diese Zeit das hei-
terste. Eine ernstere Pflege der Kunst fiel Niemandem ein,
aber man divertirte sich so oft und so viel wie möglich. Es
gab Schau- und Schäferspiele theils in geschlossenen Räumen,
theils im Freien. Das "Theater im Grünen," ähnlich dem
Rheinsberger, ist noch deutlich zu erkennen, trotzdem das Strauch-
werk jener Jahre inzwischen zu stattlichen Weißbuchen auf-
gewachsen ist. Das Ganze eine wieder freigewordene, aus
Zwang und Fesseln erlöste Natur!

Die Dorfbevölkerung nahm theils zuschauend, theils activ
an diesen Scenen Theil, was auf den ersten Blick viel An-
heimelndes und Bestechendes hatte. Aber sehr bald stellte sich's
heraus, daß Sitte und Arbeitslust zurückgingen und daß dem
Dorfe kein Segen daraus aufwuchs, als Landschafts-Staffage
oder Vehikel für das Vergnügen vornehmer Leute gedient zu
haben.

Harmloser war der alljährlich wiederkehrende "Ernte-
kranz
." Dann wurde ein Jahrmarkt abgehalten, unter den
Bäumen des Parks gegessen und getanzt, und an den Buden,
natürlich ohne Einsatz, gewürfelt und gewonnen.

Ein kleines, sehr hübsches Mädchen aus dem Dorfe (es
lebt noch als 70jährige Frau) war das Pathchen und der Lieb-
ling der Prinzessin. Es war die Puppe, mit der sie spielte.
War die Prinzessin bei Tafel allein, so wurde an einem klei-
nen Tische daneben für das Pathchen gedeckt; kam Besuch, so
war "Pathchen" -- wie der Kakadu oder der Bologneser --
der nie übersehene Gegenstand, an den sich alle Zärtlichkeiten
der Gäste adressirten.

Die Prinzessin galt für sehr reich; es hieß, daß sie täg-
lich 1500 Thlr. verausgabe. War dem wirklich so, so war es
Bariatinskisches Vermögen. Außer Friedrichsfelde besaß sie, in
Berlin selbst, ein Haus am Pariser Platz, das jetzige franzö-
sische Gesandtschafts-Hotel.

mit vieren zu fahren. Es geſchah, und alle Theile hatten
ihren Frieden.

Das Leben in Friedrichsfelde war um dieſe Zeit das hei-
terſte. Eine ernſtere Pflege der Kunſt fiel Niemandem ein,
aber man divertirte ſich ſo oft und ſo viel wie möglich. Es
gab Schau- und Schäferſpiele theils in geſchloſſenen Räumen,
theils im Freien. Das „Theater im Grünen,“ ähnlich dem
Rheinsberger, iſt noch deutlich zu erkennen, trotzdem das Strauch-
werk jener Jahre inzwiſchen zu ſtattlichen Weißbuchen auf-
gewachſen iſt. Das Ganze eine wieder freigewordene, aus
Zwang und Feſſeln erlöſte Natur!

Die Dorfbevölkerung nahm theils zuſchauend, theils activ
an dieſen Scenen Theil, was auf den erſten Blick viel An-
heimelndes und Beſtechendes hatte. Aber ſehr bald ſtellte ſich’s
heraus, daß Sitte und Arbeitsluſt zurückgingen und daß dem
Dorfe kein Segen daraus aufwuchs, als Landſchafts-Staffage
oder Vehikel für das Vergnügen vornehmer Leute gedient zu
haben.

Harmloſer war der alljährlich wiederkehrende „Ernte-
kranz
.“ Dann wurde ein Jahrmarkt abgehalten, unter den
Bäumen des Parks gegeſſen und getanzt, und an den Buden,
natürlich ohne Einſatz, gewürfelt und gewonnen.

Ein kleines, ſehr hübſches Mädchen aus dem Dorfe (es
lebt noch als 70jährige Frau) war das Pathchen und der Lieb-
ling der Prinzeſſin. Es war die Puppe, mit der ſie ſpielte.
War die Prinzeſſin bei Tafel allein, ſo wurde an einem klei-
nen Tiſche daneben für das Pathchen gedeckt; kam Beſuch, ſo
war „Pathchen“ — wie der Kakadu oder der Bologneſer —
der nie überſehene Gegenſtand, an den ſich alle Zärtlichkeiten
der Gäſte adreſſirten.

Die Prinzeſſin galt für ſehr reich; es hieß, daß ſie täg-
lich 1500 Thlr. verausgabe. War dem wirklich ſo, ſo war es
Bariatinskiſches Vermögen. Außer Friedrichsfelde beſaß ſie, in
Berlin ſelbſt, ein Haus am Pariſer Platz, das jetzige franzö-
ſiſche Geſandtſchafts-Hotel.

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[414/0432] mit vieren zu fahren. Es geſchah, und alle Theile hatten ihren Frieden. Das Leben in Friedrichsfelde war um dieſe Zeit das hei- terſte. Eine ernſtere Pflege der Kunſt fiel Niemandem ein, aber man divertirte ſich ſo oft und ſo viel wie möglich. Es gab Schau- und Schäferſpiele theils in geſchloſſenen Räumen, theils im Freien. Das „Theater im Grünen,“ ähnlich dem Rheinsberger, iſt noch deutlich zu erkennen, trotzdem das Strauch- werk jener Jahre inzwiſchen zu ſtattlichen Weißbuchen auf- gewachſen iſt. Das Ganze eine wieder freigewordene, aus Zwang und Feſſeln erlöſte Natur! Die Dorfbevölkerung nahm theils zuſchauend, theils activ an dieſen Scenen Theil, was auf den erſten Blick viel An- heimelndes und Beſtechendes hatte. Aber ſehr bald ſtellte ſich’s heraus, daß Sitte und Arbeitsluſt zurückgingen und daß dem Dorfe kein Segen daraus aufwuchs, als Landſchafts-Staffage oder Vehikel für das Vergnügen vornehmer Leute gedient zu haben. Harmloſer war der alljährlich wiederkehrende „Ernte- kranz.“ Dann wurde ein Jahrmarkt abgehalten, unter den Bäumen des Parks gegeſſen und getanzt, und an den Buden, natürlich ohne Einſatz, gewürfelt und gewonnen. Ein kleines, ſehr hübſches Mädchen aus dem Dorfe (es lebt noch als 70jährige Frau) war das Pathchen und der Lieb- ling der Prinzeſſin. Es war die Puppe, mit der ſie ſpielte. War die Prinzeſſin bei Tafel allein, ſo wurde an einem klei- nen Tiſche daneben für das Pathchen gedeckt; kam Beſuch, ſo war „Pathchen“ — wie der Kakadu oder der Bologneſer — der nie überſehene Gegenſtand, an den ſich alle Zärtlichkeiten der Gäſte adreſſirten. Die Prinzeſſin galt für ſehr reich; es hieß, daß ſie täg- lich 1500 Thlr. verausgabe. War dem wirklich ſo, ſo war es Bariatinskiſches Vermögen. Außer Friedrichsfelde beſaß ſie, in Berlin ſelbſt, ein Haus am Pariſer Platz, das jetzige franzö- ſiſche Geſandtſchafts-Hotel.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/432>, abgerufen am 26.04.2024.