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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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und jeder Größe ein. Hier erwarteten sie die Jäger, je zwei und
zwei, um die wild hereinbrechenden auflaufen zu lassen. Verfehlten
sie das Thier oder zerbrach das Fangeisen, so wurden sie oft über
den Haufen gestoßen und von dem verwundeten Wildschwein übel
zugerichtet. Zuweilen nöthigte der König auch wohl seine Jäger
und Pagen die größten Keiler bei den Ohren zu fassen und mit
Gefahr ihres Lebens so lange festzuhalten, bis er selbst herbei kam,
um sie abzufangen. Wer sich zu solchem Dienste weigerte, galt
für feige. Der König selbst ward auf einer dieser Jagdpartieen,
in unmittelbarer Nähe von Cöpenick, stark verwundet, und würde
sein Leben eingebüßt haben, wenn ihm nicht einer seiner Jäger
rechtzeitig beigesprungen wäre. Blutend schaffte man ihn nach
Cöpenick. Es war am 15. Januar 1729.

Das nächste Jahr brachte gewichtigere Tage, Tage, die
den Namen Schloß Cöpenick's mit einer der interessantesten
Episoden unserer Geschichte für immer verwoben haben. Am
28. October 1730 trat hier das Kriegsgericht zusammen, das
über den Lieutenant Katt vom Regiment Gensd'armes, so wie
über den "desertirten Obristlieutenant Fritz" Urtheil sprechen sollte.
Diese höchst denkwürdige Sitzung fand in dem sogenannten Wap-
pensaale
statt. Unter den vielen Sälen des Schlosses ist er nicht
nur der historisch interessanteste, sondern auch dadurch vor allen
andern bemerkenswerth, daß er in seiner Einrichtung und Aus-
schmückung weder bedeutend gelitten hat, noch auch hinter einer
Gips- und Mörtelverkleidung seine Vorzüge verborgen hält. Dieser
Wappensaal (wegen einer in ihm aufgestellten Orgel auch der
"Orgelsaal" geheißen) ist zwei Treppen hoch gelegen und blickt
mit seinen Fenstern auf die Spree hinaus. Im Verhältniß zu
seiner Tiefe hängt die Decke zu niedrig und würde bei ihrer reichen
Ornamentik noch viel mehr den Eindruck davon machen, wenn nicht
die hellen Farbentöne, weiß und lila, die durch den ganzen Saal
hin vorherrschen, eine gewisse Luftigkeit wieder herstellten. Die
völlig weiß gehaltene Decke wird von etwa zwanzig Karyatiden
gestützt, die alle vier Seiten des Saales umstehen und auf ihrer
Brust die Wappenschilde der verschiedenen preußischen Gebietstheile
jener Epoche tragen. Eine bestimmte Reihenfolge, nach den Pro-
vinzen, ist bei Aufstellung derselben nicht beobachtet worden und

Fontane, Wanderungen. IV. 7

und jeder Größe ein. Hier erwarteten ſie die Jäger, je zwei und
zwei, um die wild hereinbrechenden auflaufen zu laſſen. Verfehlten
ſie das Thier oder zerbrach das Fangeiſen, ſo wurden ſie oft über
den Haufen geſtoßen und von dem verwundeten Wildſchwein übel
zugerichtet. Zuweilen nöthigte der König auch wohl ſeine Jäger
und Pagen die größten Keiler bei den Ohren zu faſſen und mit
Gefahr ihres Lebens ſo lange feſtzuhalten, bis er ſelbſt herbei kam,
um ſie abzufangen. Wer ſich zu ſolchem Dienſte weigerte, galt
für feige. Der König ſelbſt ward auf einer dieſer Jagdpartieen,
in unmittelbarer Nähe von Cöpenick, ſtark verwundet, und würde
ſein Leben eingebüßt haben, wenn ihm nicht einer ſeiner Jäger
rechtzeitig beigeſprungen wäre. Blutend ſchaffte man ihn nach
Cöpenick. Es war am 15. Januar 1729.

Das nächſte Jahr brachte gewichtigere Tage, Tage, die
den Namen Schloß Cöpenick’s mit einer der intereſſanteſten
Epiſoden unſerer Geſchichte für immer verwoben haben. Am
28. October 1730 trat hier das Kriegsgericht zuſammen, das
über den Lieutenant Katt vom Regiment Gensd’armes, ſo wie
über den „deſertirten Obriſtlieutenant Fritz“ Urtheil ſprechen ſollte.
Dieſe höchſt denkwürdige Sitzung fand in dem ſogenannten Wap-
penſaale
ſtatt. Unter den vielen Sälen des Schloſſes iſt er nicht
nur der hiſtoriſch intereſſanteſte, ſondern auch dadurch vor allen
andern bemerkenswerth, daß er in ſeiner Einrichtung und Aus-
ſchmückung weder bedeutend gelitten hat, noch auch hinter einer
Gips- und Mörtelverkleidung ſeine Vorzüge verborgen hält. Dieſer
Wappenſaal (wegen einer in ihm aufgeſtellten Orgel auch der
„Orgelſaal“ geheißen) iſt zwei Treppen hoch gelegen und blickt
mit ſeinen Fenſtern auf die Spree hinaus. Im Verhältniß zu
ſeiner Tiefe hängt die Decke zu niedrig und würde bei ihrer reichen
Ornamentik noch viel mehr den Eindruck davon machen, wenn nicht
die hellen Farbentöne, weiß und lila, die durch den ganzen Saal
hin vorherrſchen, eine gewiſſe Luftigkeit wieder herſtellten. Die
völlig weiß gehaltene Decke wird von etwa zwanzig Karyatiden
geſtützt, die alle vier Seiten des Saales umſtehen und auf ihrer
Bruſt die Wappenſchilde der verſchiedenen preußiſchen Gebietstheile
jener Epoche tragen. Eine beſtimmte Reihenfolge, nach den Pro-
vinzen, iſt bei Aufſtellung derſelben nicht beobachtet worden und

Fontane, Wanderungen. IV. 7
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[97/0113] und jeder Größe ein. Hier erwarteten ſie die Jäger, je zwei und zwei, um die wild hereinbrechenden auflaufen zu laſſen. Verfehlten ſie das Thier oder zerbrach das Fangeiſen, ſo wurden ſie oft über den Haufen geſtoßen und von dem verwundeten Wildſchwein übel zugerichtet. Zuweilen nöthigte der König auch wohl ſeine Jäger und Pagen die größten Keiler bei den Ohren zu faſſen und mit Gefahr ihres Lebens ſo lange feſtzuhalten, bis er ſelbſt herbei kam, um ſie abzufangen. Wer ſich zu ſolchem Dienſte weigerte, galt für feige. Der König ſelbſt ward auf einer dieſer Jagdpartieen, in unmittelbarer Nähe von Cöpenick, ſtark verwundet, und würde ſein Leben eingebüßt haben, wenn ihm nicht einer ſeiner Jäger rechtzeitig beigeſprungen wäre. Blutend ſchaffte man ihn nach Cöpenick. Es war am 15. Januar 1729. Das nächſte Jahr brachte gewichtigere Tage, Tage, die den Namen Schloß Cöpenick’s mit einer der intereſſanteſten Epiſoden unſerer Geſchichte für immer verwoben haben. Am 28. October 1730 trat hier das Kriegsgericht zuſammen, das über den Lieutenant Katt vom Regiment Gensd’armes, ſo wie über den „deſertirten Obriſtlieutenant Fritz“ Urtheil ſprechen ſollte. Dieſe höchſt denkwürdige Sitzung fand in dem ſogenannten Wap- penſaale ſtatt. Unter den vielen Sälen des Schloſſes iſt er nicht nur der hiſtoriſch intereſſanteſte, ſondern auch dadurch vor allen andern bemerkenswerth, daß er in ſeiner Einrichtung und Aus- ſchmückung weder bedeutend gelitten hat, noch auch hinter einer Gips- und Mörtelverkleidung ſeine Vorzüge verborgen hält. Dieſer Wappenſaal (wegen einer in ihm aufgeſtellten Orgel auch der „Orgelſaal“ geheißen) iſt zwei Treppen hoch gelegen und blickt mit ſeinen Fenſtern auf die Spree hinaus. Im Verhältniß zu ſeiner Tiefe hängt die Decke zu niedrig und würde bei ihrer reichen Ornamentik noch viel mehr den Eindruck davon machen, wenn nicht die hellen Farbentöne, weiß und lila, die durch den ganzen Saal hin vorherrſchen, eine gewiſſe Luftigkeit wieder herſtellten. Die völlig weiß gehaltene Decke wird von etwa zwanzig Karyatiden geſtützt, die alle vier Seiten des Saales umſtehen und auf ihrer Bruſt die Wappenſchilde der verſchiedenen preußiſchen Gebietstheile jener Epoche tragen. Eine beſtimmte Reihenfolge, nach den Pro- vinzen, iſt bei Aufſtellung derſelben nicht beobachtet worden und Fontane, Wanderungen. IV. 7

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/113>, abgerufen am 27.04.2024.