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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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die Durstigen im See zu tränken. Sie kommt freilich nicht und
auch der große Heuwagen bleibt aus, der von vier weißen Mäusen
gezogen der Prinzessin entgegenfährt um ihr den Weg zu sperren,
aber eingewiegt in phantastisches Träumen könnte jetzt eine ganze
Zauberwelt vor uns ausgeschüttet werden, wir würden ihre Wunder
ohne Verwunderung entgegennehmen. Die Müggel und ihre Ufer
sind Märchenland.

Noch einmal fährt ein Gluthstreifen über den See; nun aber
schwindet die Sonne, beinah plötzlich bricht die Dämmerung herein
und bleifarben liegt die weite Wasserfläche da. In seiner Mitte
beginnt es wie ein Kreisen, wie ein Quirlen und Tanzen; sind es
Nebel, die aufsteigen? oder sind es die alten Müggelhexen, die
lebendig werden sobald das Licht aus der Welt ist.

Der Fährmann von der Müggelbude hat sich zu mir gesetzt
und ich dringe jetzt in ihn mich über den See zu fahren, aber
statt jeder Antwort zeigt er nur auf eine grauweiße Säule, die
mit wachsender Hast auf uns zukommt. Wie geängstigte Schwäne
fahren die Wellen der Müggel vor ihr her und während ich
meinen Arm fester um die Fichte lege, bricht vom See her ein Wind-
stoß in Schlucht und Wald hinein und jagt mit Geklaff und Ge-
pfeif durch die Kronen der Bäume hin. Einen Augenblick nur
und die Ruh' ist wieder da, -- aber die Bäume zittern noch nach,
und auf dem See, der den Anfall erst halb überwunden, jagen
und haschen sich noch die Wellen.

Die Müggel ist bös. Es ist als wohnten noch die alten
Heiden-Götter darin, deren Bilder einst die Hand der Mönche von
den Müggelbergen herab in den See warf. Die alten Mächte
sind besiegt, aber nicht todt, und in der Dämmerstunde steigen sie
herauf und denken ihre Zeit sei wieder da.


die Durſtigen im See zu tränken. Sie kommt freilich nicht und
auch der große Heuwagen bleibt aus, der von vier weißen Mäuſen
gezogen der Prinzeſſin entgegenfährt um ihr den Weg zu ſperren,
aber eingewiegt in phantaſtiſches Träumen könnte jetzt eine ganze
Zauberwelt vor uns ausgeſchüttet werden, wir würden ihre Wunder
ohne Verwunderung entgegennehmen. Die Müggel und ihre Ufer
ſind Märchenland.

Noch einmal fährt ein Gluthſtreifen über den See; nun aber
ſchwindet die Sonne, beinah plötzlich bricht die Dämmerung herein
und bleifarben liegt die weite Waſſerfläche da. In ſeiner Mitte
beginnt es wie ein Kreiſen, wie ein Quirlen und Tanzen; ſind es
Nebel, die aufſteigen? oder ſind es die alten Müggelhexen, die
lebendig werden ſobald das Licht aus der Welt iſt.

Der Fährmann von der Müggelbude hat ſich zu mir geſetzt
und ich dringe jetzt in ihn mich über den See zu fahren, aber
ſtatt jeder Antwort zeigt er nur auf eine grauweiße Säule, die
mit wachſender Haſt auf uns zukommt. Wie geängſtigte Schwäne
fahren die Wellen der Müggel vor ihr her und während ich
meinen Arm feſter um die Fichte lege, bricht vom See her ein Wind-
ſtoß in Schlucht und Wald hinein und jagt mit Geklaff und Ge-
pfeif durch die Kronen der Bäume hin. Einen Augenblick nur
und die Ruh’ iſt wieder da, — aber die Bäume zittern noch nach,
und auf dem See, der den Anfall erſt halb überwunden, jagen
und haſchen ſich noch die Wellen.

Die Müggel iſt bös. Es iſt als wohnten noch die alten
Heiden-Götter darin, deren Bilder einſt die Hand der Mönche von
den Müggelbergen herab in den See warf. Die alten Mächte
ſind beſiegt, aber nicht todt, und in der Dämmerſtunde ſteigen ſie
herauf und denken ihre Zeit ſei wieder da.


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[117/0133] die Durſtigen im See zu tränken. Sie kommt freilich nicht und auch der große Heuwagen bleibt aus, der von vier weißen Mäuſen gezogen der Prinzeſſin entgegenfährt um ihr den Weg zu ſperren, aber eingewiegt in phantaſtiſches Träumen könnte jetzt eine ganze Zauberwelt vor uns ausgeſchüttet werden, wir würden ihre Wunder ohne Verwunderung entgegennehmen. Die Müggel und ihre Ufer ſind Märchenland. Noch einmal fährt ein Gluthſtreifen über den See; nun aber ſchwindet die Sonne, beinah plötzlich bricht die Dämmerung herein und bleifarben liegt die weite Waſſerfläche da. In ſeiner Mitte beginnt es wie ein Kreiſen, wie ein Quirlen und Tanzen; ſind es Nebel, die aufſteigen? oder ſind es die alten Müggelhexen, die lebendig werden ſobald das Licht aus der Welt iſt. Der Fährmann von der Müggelbude hat ſich zu mir geſetzt und ich dringe jetzt in ihn mich über den See zu fahren, aber ſtatt jeder Antwort zeigt er nur auf eine grauweiße Säule, die mit wachſender Haſt auf uns zukommt. Wie geängſtigte Schwäne fahren die Wellen der Müggel vor ihr her und während ich meinen Arm feſter um die Fichte lege, bricht vom See her ein Wind- ſtoß in Schlucht und Wald hinein und jagt mit Geklaff und Ge- pfeif durch die Kronen der Bäume hin. Einen Augenblick nur und die Ruh’ iſt wieder da, — aber die Bäume zittern noch nach, und auf dem See, der den Anfall erſt halb überwunden, jagen und haſchen ſich noch die Wellen. Die Müggel iſt bös. Es iſt als wohnten noch die alten Heiden-Götter darin, deren Bilder einſt die Hand der Mönche von den Müggelbergen herab in den See warf. Die alten Mächte ſind beſiegt, aber nicht todt, und in der Dämmerſtunde ſteigen ſie herauf und denken ihre Zeit ſei wieder da.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/133>, abgerufen am 26.04.2024.