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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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werden. Uncke war ihm der Inbegriff des Komischen, und
wenn ihn schon das rote, verkupferte Gesicht an und für
sich amüsierte, so doch viel, viel mehr noch der gefärbte
Schuhbürstenbackenbart, vor allem aber das Augenspiel,
mit dem er den Verhandlungen zu folgen pflegte.
Pyterke hatte recht; Uncke war wirklich eine komische
Figur. Seine Miene sagte beständig: "An mir hängt
es." Dabei war er ein höchst gutmütiger Mann, der nie
mehr als nötig aufschrieb und auch nur selten auflöste.

Der Saal hatte nach dem Flur hin drei Thüren.
An der Mittelthür standen die beiden Gensdarmen und
rückten sich zurecht, als sich der Vorsitzende des Komitees
mit dem Glockenschlag sieben von seinem Platz erhob und
die Sitzung für eröffnet erklärte. Dieser Vorsitzende war
natürlich Oberförster Katzler, der heute, statt des bloßen
schwarz-weißen Bandes, sein bei St. Marie aux Chenes
erworbenes eisernes Kreuz in Substanz eingeknöpft hatte.
Neben ihm saßen Superintendent Koseleger und Pastor
Lorenzen, an der linken Schmalseite Krippenstapel, an der
rechten Schulze Kluckhuhn, letzterer auch dekoriert, und
zwar mit der Düppelmedaille, trotzdem er bei Düppel in
der Reserve gestanden. Er scherzte gern darüber und
sagte, während er seine beneidenswerten Zähne zeigte:
"Ja, Kinder, so geht es. Bei Alsen war ich, aber bei
Düppel war ich nich, und dafür hab' ich nu die Düppel¬
medaille."

Schulze Kluckhuhn war überhaupt eine humoristisch
angeflogene Persönlichkeit, Liebling des alten Dubslav,
und trat immer, wenn sich die alten Kriegerbundleute von
sechsundsechzig und siebzig aufs hohe Pferd setzen wollten,
für die von vierundsechzig ein. "Ja, vierundsechzig, Kinder,
da fing es an. Und aller Anfang ist schwer. Anfangen
ist immer die Hauptsache; das andre kommt dann schon
wie von selbst." Ein alter Globsower, der bei Spichern
mitgestürmt und sich durch besondere Tapferkeit hervorgethan

werden. Uncke war ihm der Inbegriff des Komiſchen, und
wenn ihn ſchon das rote, verkupferte Geſicht an und für
ſich amüſierte, ſo doch viel, viel mehr noch der gefärbte
Schuhbürſtenbackenbart, vor allem aber das Augenſpiel,
mit dem er den Verhandlungen zu folgen pflegte.
Pyterke hatte recht; Uncke war wirklich eine komiſche
Figur. Seine Miene ſagte beſtändig: „An mir hängt
es.“ Dabei war er ein höchſt gutmütiger Mann, der nie
mehr als nötig aufſchrieb und auch nur ſelten auflöſte.

Der Saal hatte nach dem Flur hin drei Thüren.
An der Mittelthür ſtanden die beiden Gensdarmen und
rückten ſich zurecht, als ſich der Vorſitzende des Komitees
mit dem Glockenſchlag ſieben von ſeinem Platz erhob und
die Sitzung für eröffnet erklärte. Dieſer Vorſitzende war
natürlich Oberförſter Katzler, der heute, ſtatt des bloßen
ſchwarz-weißen Bandes, ſein bei St. Marie aux Chênes
erworbenes eiſernes Kreuz in Subſtanz eingeknöpft hatte.
Neben ihm ſaßen Superintendent Koſeleger und Paſtor
Lorenzen, an der linken Schmalſeite Krippenſtapel, an der
rechten Schulze Kluckhuhn, letzterer auch dekoriert, und
zwar mit der Düppelmedaille, trotzdem er bei Düppel in
der Reſerve geſtanden. Er ſcherzte gern darüber und
ſagte, während er ſeine beneidenswerten Zähne zeigte:
„Ja, Kinder, ſo geht es. Bei Alſen war ich, aber bei
Düppel war ich nich, und dafür hab' ich nu die Düppel¬
medaille.“

Schulze Kluckhuhn war überhaupt eine humoriſtiſch
angeflogene Perſönlichkeit, Liebling des alten Dubslav,
und trat immer, wenn ſich die alten Kriegerbundleute von
ſechsundſechzig und ſiebzig aufs hohe Pferd ſetzen wollten,
für die von vierundſechzig ein. „Ja, vierundſechzig, Kinder,
da fing es an. Und aller Anfang iſt ſchwer. Anfangen
iſt immer die Hauptſache; das andre kommt dann ſchon
wie von ſelbſt.“ Ein alter Globſower, der bei Spichern
mitgeſtürmt und ſich durch beſondere Tapferkeit hervorgethan

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[214/0221] werden. Uncke war ihm der Inbegriff des Komiſchen, und wenn ihn ſchon das rote, verkupferte Geſicht an und für ſich amüſierte, ſo doch viel, viel mehr noch der gefärbte Schuhbürſtenbackenbart, vor allem aber das Augenſpiel, mit dem er den Verhandlungen zu folgen pflegte. Pyterke hatte recht; Uncke war wirklich eine komiſche Figur. Seine Miene ſagte beſtändig: „An mir hängt es.“ Dabei war er ein höchſt gutmütiger Mann, der nie mehr als nötig aufſchrieb und auch nur ſelten auflöſte. Der Saal hatte nach dem Flur hin drei Thüren. An der Mittelthür ſtanden die beiden Gensdarmen und rückten ſich zurecht, als ſich der Vorſitzende des Komitees mit dem Glockenſchlag ſieben von ſeinem Platz erhob und die Sitzung für eröffnet erklärte. Dieſer Vorſitzende war natürlich Oberförſter Katzler, der heute, ſtatt des bloßen ſchwarz-weißen Bandes, ſein bei St. Marie aux Chênes erworbenes eiſernes Kreuz in Subſtanz eingeknöpft hatte. Neben ihm ſaßen Superintendent Koſeleger und Paſtor Lorenzen, an der linken Schmalſeite Krippenſtapel, an der rechten Schulze Kluckhuhn, letzterer auch dekoriert, und zwar mit der Düppelmedaille, trotzdem er bei Düppel in der Reſerve geſtanden. Er ſcherzte gern darüber und ſagte, während er ſeine beneidenswerten Zähne zeigte: „Ja, Kinder, ſo geht es. Bei Alſen war ich, aber bei Düppel war ich nich, und dafür hab' ich nu die Düppel¬ medaille.“ Schulze Kluckhuhn war überhaupt eine humoriſtiſch angeflogene Perſönlichkeit, Liebling des alten Dubslav, und trat immer, wenn ſich die alten Kriegerbundleute von ſechsundſechzig und ſiebzig aufs hohe Pferd ſetzen wollten, für die von vierundſechzig ein. „Ja, vierundſechzig, Kinder, da fing es an. Und aller Anfang iſt ſchwer. Anfangen iſt immer die Hauptſache; das andre kommt dann ſchon wie von ſelbſt.“ Ein alter Globſower, der bei Spichern mitgeſtürmt und ſich durch beſondere Tapferkeit hervorgethan

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/221>, abgerufen am 26.04.2024.