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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Auf drei Uhr war die Trauung festgesetzt. Schon
eine halbe Stunde vorher erschien der Brautwagen und
hielt vor dem Schickedanzschen Hause, dessen Flur auszu¬
schmücken, sich die Frau Versicherungssekretärin nicht hatte
nehmen lassen. Von der Treppe bis auf das Trottoir
hinaus waren zu beiden Seiten Blumenestraden aufgestellt,
auf denen die Lieblinge der Frau Schickedanz in einer
Schönheit und Fülle standen, als ob es sich um eine Mai¬
blumenausstellung gehandelt hätte. Hinter den verschiedenen
Estraden aber hatten alle Hausbewohner Aufstellung ge¬
nommen, Lizzi, Frau Imme und sämtliche Hartwichs und
natürlich auch Hedwig, die, nach ganz kurzem Dienst im
Kommerzienrat Seligmannschen Hause, vor etwa acht
Tagen ihre Stelle wieder aufgegeben hatte.

"Gott, Hedwig, war es denn wieder so was?"

"Nein, Frau Imme, diesmal war es mehr."


Frommel traute. Die Kirche war dicht besetzt, auch
von bloß Neugierigen, die sich, ehe die große Orgel
einsetzte, die merkwürdigsten Dinge mitzuteilen hatten.
Die Barbys seien eigentlich Italiener aus der Gegend
von Neapel, und der alte Graf, was man ihm auch
noch ansehe, sei in seinen jungen Jahren unter den
Carbonaris gewesen; aber mit einem Male hab' er ge¬
schwenkt und sei zum Verräter an seiner heiligen Sache
geworden. Und weil in solchem Falle jedesmal einer zur
Vollstreckung der Gerechtigkeit ausgelost würde (was der
Graf auch recht gut gewußt habe), hab' er vorsichtiger¬
weise seine schöne Heimat verlassen und sei nach Berlin
gekommen und sogar an den Hof. Und Friedrich Wil¬
helm IV., der ihn sehr gern gemocht, hab' auch immer
italienisch mit ihm gesprochen.


Auf drei Uhr war die Trauung feſtgeſetzt. Schon
eine halbe Stunde vorher erſchien der Brautwagen und
hielt vor dem Schickedanzſchen Hauſe, deſſen Flur auszu¬
ſchmücken, ſich die Frau Verſicherungsſekretärin nicht hatte
nehmen laſſen. Von der Treppe bis auf das Trottoir
hinaus waren zu beiden Seiten Blumeneſtraden aufgeſtellt,
auf denen die Lieblinge der Frau Schickedanz in einer
Schönheit und Fülle ſtanden, als ob es ſich um eine Mai¬
blumenausſtellung gehandelt hätte. Hinter den verſchiedenen
Eſtraden aber hatten alle Hausbewohner Aufſtellung ge¬
nommen, Lizzi, Frau Imme und ſämtliche Hartwichs und
natürlich auch Hedwig, die, nach ganz kurzem Dienſt im
Kommerzienrat Seligmannſchen Hauſe, vor etwa acht
Tagen ihre Stelle wieder aufgegeben hatte.

„Gott, Hedwig, war es denn wieder ſo was?“

„Nein, Frau Imme, diesmal war es mehr.“


Frommel traute. Die Kirche war dicht beſetzt, auch
von bloß Neugierigen, die ſich, ehe die große Orgel
einſetzte, die merkwürdigſten Dinge mitzuteilen hatten.
Die Barbys ſeien eigentlich Italiener aus der Gegend
von Neapel, und der alte Graf, was man ihm auch
noch anſehe, ſei in ſeinen jungen Jahren unter den
Carbonaris geweſen; aber mit einem Male hab' er ge¬
ſchwenkt und ſei zum Verräter an ſeiner heiligen Sache
geworden. Und weil in ſolchem Falle jedesmal einer zur
Vollſtreckung der Gerechtigkeit ausgeloſt würde (was der
Graf auch recht gut gewußt habe), hab' er vorſichtiger¬
weiſe ſeine ſchöne Heimat verlaſſen und ſei nach Berlin
gekommen und ſogar an den Hof. Und Friedrich Wil¬
helm IV., der ihn ſehr gern gemocht, hab' auch immer
italieniſch mit ihm geſprochen.


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[384/0391] Auf drei Uhr war die Trauung feſtgeſetzt. Schon eine halbe Stunde vorher erſchien der Brautwagen und hielt vor dem Schickedanzſchen Hauſe, deſſen Flur auszu¬ ſchmücken, ſich die Frau Verſicherungsſekretärin nicht hatte nehmen laſſen. Von der Treppe bis auf das Trottoir hinaus waren zu beiden Seiten Blumeneſtraden aufgeſtellt, auf denen die Lieblinge der Frau Schickedanz in einer Schönheit und Fülle ſtanden, als ob es ſich um eine Mai¬ blumenausſtellung gehandelt hätte. Hinter den verſchiedenen Eſtraden aber hatten alle Hausbewohner Aufſtellung ge¬ nommen, Lizzi, Frau Imme und ſämtliche Hartwichs und natürlich auch Hedwig, die, nach ganz kurzem Dienſt im Kommerzienrat Seligmannſchen Hauſe, vor etwa acht Tagen ihre Stelle wieder aufgegeben hatte. „Gott, Hedwig, war es denn wieder ſo was?“ „Nein, Frau Imme, diesmal war es mehr.“ Frommel traute. Die Kirche war dicht beſetzt, auch von bloß Neugierigen, die ſich, ehe die große Orgel einſetzte, die merkwürdigſten Dinge mitzuteilen hatten. Die Barbys ſeien eigentlich Italiener aus der Gegend von Neapel, und der alte Graf, was man ihm auch noch anſehe, ſei in ſeinen jungen Jahren unter den Carbonaris geweſen; aber mit einem Male hab' er ge¬ ſchwenkt und ſei zum Verräter an ſeiner heiligen Sache geworden. Und weil in ſolchem Falle jedesmal einer zur Vollſtreckung der Gerechtigkeit ausgeloſt würde (was der Graf auch recht gut gewußt habe), hab' er vorſichtiger¬ weiſe ſeine ſchöne Heimat verlaſſen und ſei nach Berlin gekommen und ſogar an den Hof. Und Friedrich Wil¬ helm IV., der ihn ſehr gern gemocht, hab' auch immer italieniſch mit ihm geſprochen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/391>, abgerufen am 27.04.2024.