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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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halbe Ewigkeit. Haben Sie Schulden gemacht und sollen
in Prison?"

"Man könnte beinahe so was denken. Denn so
lange Gransee historisch beglaubigt dasteht, ist noch kein
Doktor auf sechs Wochen weg gewesen, noch dazu ein
Kreisphysikus. Eine Doktorexistenz gestattet solchen Luxus
nicht. Wie lebt man denn hier? Und wie hat man
gelebt? Immer Furunkel aufgeschnitten, immer Karbol¬
watte, immer in den Wagen gestiegen, immer einem
alten Erdenbürger seinen Entlassungsschein ausgestellt
oder einen neuen Erdenbürger geholt. Und nun sechs
Wochen weg. Wie ich meinen Kreis wiederfinden werde ...
nu, vielleicht hat Gott ein Einsehen."

"Er ist doch wohl eigentlich der beste Assistenzarzt."

"Und vor allem der billigste. Der andre, den ich
mir aus Berlin habe verschreiben müssen (ach, und so
viel Schreiberei), der ist teurer. Und meine Reise kommt
mir ohnedies schon teuer genug."

"Aber wohin denn, Doktor?"

"Nach Pfäffers."

"Pfäffers. Kenn' ich nicht. Und was wollen Sie
da? Warum? Wozu?"

"Meine Frau laboriert an einem Rheumatismus,
hochgradig, schon nicht mehr schön. Und da ist denn
Pfäffers der letzte Trumpf. Schweizerbad mit allen
Schikanen und wahrscheinlich auch mit allen Kosten.
Ein Granseer, der allerdings für Geld gezeigt werden
kann, war mal an diesem merkwürdigen Ort und hat
mir denn auch 'ne Beschreibung davon gemacht. Habe
natürlich auch noch im Bädeker nachgeschlagen und unter
anderm einen Fluß da verzeichnet gefunden, der Tamina
heißt. Erinnert ein bißchen an Zauberflöte und klingt
soweit ganz gut. Aber trotzdem eine tolle Geschichte,
dies Pfäffers. Soweit es nämlich als Bad in Betracht
kommt, ist es nichts als ein Felsenloch, ein großer Back¬

halbe Ewigkeit. Haben Sie Schulden gemacht und ſollen
in Priſon?“

„Man könnte beinahe ſo was denken. Denn ſo
lange Granſee hiſtoriſch beglaubigt daſteht, iſt noch kein
Doktor auf ſechs Wochen weg geweſen, noch dazu ein
Kreisphyſikus. Eine Doktorexiſtenz geſtattet ſolchen Luxus
nicht. Wie lebt man denn hier? Und wie hat man
gelebt? Immer Furunkel aufgeſchnitten, immer Karbol¬
watte, immer in den Wagen geſtiegen, immer einem
alten Erdenbürger ſeinen Entlaſſungsſchein ausgeſtellt
oder einen neuen Erdenbürger geholt. Und nun ſechs
Wochen weg. Wie ich meinen Kreis wiederfinden werde ...
nu, vielleicht hat Gott ein Einſehen.“

„Er iſt doch wohl eigentlich der beſte Aſſiſtenzarzt.“

„Und vor allem der billigſte. Der andre, den ich
mir aus Berlin habe verſchreiben müſſen (ach, und ſo
viel Schreiberei), der iſt teurer. Und meine Reiſe kommt
mir ohnedies ſchon teuer genug.“

„Aber wohin denn, Doktor?“

„Nach Pfäffers.“

„Pfäffers. Kenn' ich nicht. Und was wollen Sie
da? Warum? Wozu?“

„Meine Frau laboriert an einem Rheumatismus,
hochgradig, ſchon nicht mehr ſchön. Und da iſt denn
Pfäffers der letzte Trumpf. Schweizerbad mit allen
Schikanen und wahrſcheinlich auch mit allen Koſten.
Ein Granſeer, der allerdings für Geld gezeigt werden
kann, war mal an dieſem merkwürdigen Ort und hat
mir denn auch 'ne Beſchreibung davon gemacht. Habe
natürlich auch noch im Bädeker nachgeſchlagen und unter
anderm einen Fluß da verzeichnet gefunden, der Tamina
heißt. Erinnert ein bißchen an Zauberflöte und klingt
ſoweit ganz gut. Aber trotzdem eine tolle Geſchichte,
dies Pfäffers. Soweit es nämlich als Bad in Betracht
kommt, iſt es nichts als ein Felſenloch, ein großer Back¬

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[422/0429] halbe Ewigkeit. Haben Sie Schulden gemacht und ſollen in Priſon?“ „Man könnte beinahe ſo was denken. Denn ſo lange Granſee hiſtoriſch beglaubigt daſteht, iſt noch kein Doktor auf ſechs Wochen weg geweſen, noch dazu ein Kreisphyſikus. Eine Doktorexiſtenz geſtattet ſolchen Luxus nicht. Wie lebt man denn hier? Und wie hat man gelebt? Immer Furunkel aufgeſchnitten, immer Karbol¬ watte, immer in den Wagen geſtiegen, immer einem alten Erdenbürger ſeinen Entlaſſungsſchein ausgeſtellt oder einen neuen Erdenbürger geholt. Und nun ſechs Wochen weg. Wie ich meinen Kreis wiederfinden werde ... nu, vielleicht hat Gott ein Einſehen.“ „Er iſt doch wohl eigentlich der beſte Aſſiſtenzarzt.“ „Und vor allem der billigſte. Der andre, den ich mir aus Berlin habe verſchreiben müſſen (ach, und ſo viel Schreiberei), der iſt teurer. Und meine Reiſe kommt mir ohnedies ſchon teuer genug.“ „Aber wohin denn, Doktor?“ „Nach Pfäffers.“ „Pfäffers. Kenn' ich nicht. Und was wollen Sie da? Warum? Wozu?“ „Meine Frau laboriert an einem Rheumatismus, hochgradig, ſchon nicht mehr ſchön. Und da iſt denn Pfäffers der letzte Trumpf. Schweizerbad mit allen Schikanen und wahrſcheinlich auch mit allen Koſten. Ein Granſeer, der allerdings für Geld gezeigt werden kann, war mal an dieſem merkwürdigen Ort und hat mir denn auch 'ne Beſchreibung davon gemacht. Habe natürlich auch noch im Bädeker nachgeſchlagen und unter anderm einen Fluß da verzeichnet gefunden, der Tamina heißt. Erinnert ein bißchen an Zauberflöte und klingt ſoweit ganz gut. Aber trotzdem eine tolle Geſchichte, dies Pfäffers. Soweit es nämlich als Bad in Betracht kommt, iſt es nichts als ein Felſenloch, ein großer Back¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/429>, abgerufen am 26.04.2024.