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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Reise will ich Ihnen statt dessen erzählen. Wir nahmen
den Weg über den Brenner und waren am selben Abend
noch in Verona. ,Torre di Londra'. Was mich andern
Tags in der Capuletti- und Montecchi-Stadt am
meisten interessierte, war ein großer Parkgarten, der
,Giardino Giusti', mit über zweihundert Cypressen,
alle fünfhundert Jahre alt und viele beinah' so hoch
wie das Berliner Schloß. Ich ging mit Woldemar
auf und ab, und dabei berechneten wir uns, ob wohl
die schöne Julia hier auch schon auf und ab gegangen
sei? Nur eins störte uns. Zu solcher Prachtavenue
von Trauerbäumen gehört als Abschluß notwendig
ein Mausoleum. Das fehlt aber. Im ,Giardino
Giusti' trafen wir Hauptmann von Gaza vom ersten
Garderegiment, der, von Neapel kommend, bereits alle
Schönheit Italiens gesehen hatte. Wir fragten ihn,
ob Verona, wie einem beständig versichert wird, wirk¬
lich die ,italienischste der italienischen Städt' sei? Haupt¬
mann von Gaza lachte. ,Von Potsdam', so meinte er,
,könne man vielleicht sagen, daß es die preußischste
Stadt sei. Aber Verona die italienischste? Nie und
nimmer.'

"Über das vielgefeierte Venedig an dieser Stelle
nur das eine. Unser Hotel lag in Nähe einer mit Barok
überladenen Kirche: San Mose. Daß es einen Sankt
Moses giebt, war mir fremd und verwunderlich zu¬
gleich. Aber gleich danach dacht ich an unsere Gen¬
darmentürme und war beruhigt. Moses geht doch
immer noch vor Gendarm."

"Florenz überspring' ich und erzähle Ihnen dafür
lieber vom Trasimenischen See, den mir auf unserer
Eisenbahnfahrt passierten. Woldemar, ein ganz klein
wenig "Taschen-Moltke", mochte nicht darauf ver¬
zichten, den großen Hannibal auf Herz und Nieren
zu prüfen, und so stiegen wir denn in Nähe des

Reiſe will ich Ihnen ſtatt deſſen erzählen. Wir nahmen
den Weg über den Brenner und waren am ſelben Abend
noch in Verona. ‚Torre di Londra‘. Was mich andern
Tags in der Capuletti- und Montecchi-Stadt am
meiſten intereſſierte, war ein großer Parkgarten, der
‚Giardino Giuſti‘, mit über zweihundert Cypreſſen,
alle fünfhundert Jahre alt und viele beinah' ſo hoch
wie das Berliner Schloß. Ich ging mit Woldemar
auf und ab, und dabei berechneten wir uns, ob wohl
die ſchöne Julia hier auch ſchon auf und ab gegangen
ſei? Nur eins ſtörte uns. Zu ſolcher Prachtavenue
von Trauerbäumen gehört als Abſchluß notwendig
ein Mauſoleum. Das fehlt aber. Im ‚Giardino
Giuſti‘ trafen wir Hauptmann von Gaza vom erſten
Garderegiment, der, von Neapel kommend, bereits alle
Schönheit Italiens geſehen hatte. Wir fragten ihn,
ob Verona, wie einem beſtändig verſichert wird, wirk¬
lich die ‚italieniſchſte der italieniſchen Städt‘ ſei? Haupt¬
mann von Gaza lachte. ‚Von Potsdam‘, ſo meinte er,
‚könne man vielleicht ſagen, daß es die preußiſchſte
Stadt ſei. Aber Verona die italieniſchſte? Nie und
nimmer.‘

„Über das vielgefeierte Venedig an dieſer Stelle
nur das eine. Unſer Hotel lag in Nähe einer mit Barok
überladenen Kirche: San Moſé. Daß es einen Sankt
Moſes giebt, war mir fremd und verwunderlich zu¬
gleich. Aber gleich danach dacht ich an unſere Gen¬
darmentürme und war beruhigt. Moſes geht doch
immer noch vor Gendarm.“

„Florenz überſpring' ich und erzähle Ihnen dafür
lieber vom Traſimeniſchen See, den mir auf unſerer
Eiſenbahnfahrt paſſierten. Woldemar, ein ganz klein
wenig „Taſchen-Moltke“, mochte nicht darauf ver¬
zichten, den großen Hannibal auf Herz und Nieren
zu prüfen, und ſo ſtiegen wir denn in Nähe des

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[447/0454] Reiſe will ich Ihnen ſtatt deſſen erzählen. Wir nahmen den Weg über den Brenner und waren am ſelben Abend noch in Verona. ‚Torre di Londra‘. Was mich andern Tags in der Capuletti- und Montecchi-Stadt am meiſten intereſſierte, war ein großer Parkgarten, der ‚Giardino Giuſti‘, mit über zweihundert Cypreſſen, alle fünfhundert Jahre alt und viele beinah' ſo hoch wie das Berliner Schloß. Ich ging mit Woldemar auf und ab, und dabei berechneten wir uns, ob wohl die ſchöne Julia hier auch ſchon auf und ab gegangen ſei? Nur eins ſtörte uns. Zu ſolcher Prachtavenue von Trauerbäumen gehört als Abſchluß notwendig ein Mauſoleum. Das fehlt aber. Im ‚Giardino Giuſti‘ trafen wir Hauptmann von Gaza vom erſten Garderegiment, der, von Neapel kommend, bereits alle Schönheit Italiens geſehen hatte. Wir fragten ihn, ob Verona, wie einem beſtändig verſichert wird, wirk¬ lich die ‚italieniſchſte der italieniſchen Städt‘ ſei? Haupt¬ mann von Gaza lachte. ‚Von Potsdam‘, ſo meinte er, ‚könne man vielleicht ſagen, daß es die preußiſchſte Stadt ſei. Aber Verona die italieniſchſte? Nie und nimmer.‘ „Über das vielgefeierte Venedig an dieſer Stelle nur das eine. Unſer Hotel lag in Nähe einer mit Barok überladenen Kirche: San Moſé. Daß es einen Sankt Moſes giebt, war mir fremd und verwunderlich zu¬ gleich. Aber gleich danach dacht ich an unſere Gen¬ darmentürme und war beruhigt. Moſes geht doch immer noch vor Gendarm.“ „Florenz überſpring' ich und erzähle Ihnen dafür lieber vom Traſimeniſchen See, den mir auf unſerer Eiſenbahnfahrt paſſierten. Woldemar, ein ganz klein wenig „Taſchen-Moltke“, mochte nicht darauf ver¬ zichten, den großen Hannibal auf Herz und Nieren zu prüfen, und ſo ſtiegen wir denn in Nähe des

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/454>, abgerufen am 26.04.2024.