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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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drei bestiegen den Wagen, dessen Verdeck zurückgeschlagen
war. Krippenstapel entschuldigte Lorenzen, "der wegen
einer Trauung behindert sei", und so wäre denn alles
in bester Ordnung gewesen, wenn unser trefflicher alter
Museumsdirektor nur vor Antritt seiner Fahrt nach
Gransee von einer Herausbesserung seines äußeren
Menschen Abstand genommen hätte. Das war ihm aber
unzulässig erschienen, und so saß er denn jetzt dem jungen
Paare gegenüber, angethan mit einem Schlipsstreifen
und einem großen Chemisettevorbau. Der Schlips war
so schmal, daß nicht bloß der zur Befestigung der Vater¬
mörder dienende Hemdkragenrand in halber Höhe sicht¬
bar wurde, sondern leider auch der aus einem keilartigen
Ausschnitt hervorlugende Adamsapfel, der sich nun, wie
ein Ding für sich, beständig hin und her bewegte. Die
Verlegenheit Armgards, deren Auge sich -- natürlich ganz
gegen ihren Willen -- unausgesetzt auf dies Naturspiel
richten mußte, wäre denn auch von Moment zu Moment
immer größer geworden, wenn nicht Krippenstapels un¬
befangene Haltung schließlich über alles wieder hinweg
geholfen hätte.

Dazu kam noch, daß seiner Unbefangenheit seine
Mitteilsamkeit entsprach. Er erzählte von dem Begräb¬
nis und wer vom Grafschaftsadel alles dagewesen sei.
Dann kam Thormeyer an die Reihe, dann Katzenstein
und die Domina und zuletzt auch "lütt Agnes".

"Des Kindes müssen wir uns annehmen," sagte
Armgard.

"Wenn du darauf dringst, gewiß. Aber es liegt
schwieriger damit, als du denkst. Solche Kinder, ganz
im Gegensatz zur Pädagogenschablone, muß man sich
selbst überlassen. Der gefährlichere Weg, wenn über¬
haupt was Gutes in ihnen steckt, ist jedesmal der
bessere. Dann bekehren sie sich aus sich selbst heraus.
Wenn aber irgend ein Zwang diese Bekehrung

Fontane, Der Stechlin. 33

drei beſtiegen den Wagen, deſſen Verdeck zurückgeſchlagen
war. Krippenſtapel entſchuldigte Lorenzen, „der wegen
einer Trauung behindert ſei“, und ſo wäre denn alles
in beſter Ordnung geweſen, wenn unſer trefflicher alter
Muſeumsdirektor nur vor Antritt ſeiner Fahrt nach
Granſee von einer Herausbeſſerung ſeines äußeren
Menſchen Abſtand genommen hätte. Das war ihm aber
unzuläſſig erſchienen, und ſo ſaß er denn jetzt dem jungen
Paare gegenüber, angethan mit einem Schlipsſtreifen
und einem großen Chemiſettevorbau. Der Schlips war
ſo ſchmal, daß nicht bloß der zur Befeſtigung der Vater¬
mörder dienende Hemdkragenrand in halber Höhe ſicht¬
bar wurde, ſondern leider auch der aus einem keilartigen
Ausſchnitt hervorlugende Adamsapfel, der ſich nun, wie
ein Ding für ſich, beſtändig hin und her bewegte. Die
Verlegenheit Armgards, deren Auge ſich — natürlich ganz
gegen ihren Willen — unausgeſetzt auf dies Naturſpiel
richten mußte, wäre denn auch von Moment zu Moment
immer größer geworden, wenn nicht Krippenſtapels un¬
befangene Haltung ſchließlich über alles wieder hinweg
geholfen hätte.

Dazu kam noch, daß ſeiner Unbefangenheit ſeine
Mitteilſamkeit entſprach. Er erzählte von dem Begräb¬
nis und wer vom Grafſchaftsadel alles dageweſen ſei.
Dann kam Thormeyer an die Reihe, dann Katzenſtein
und die Domina und zuletzt auch „lütt Agnes“.

„Des Kindes müſſen wir uns annehmen,“ ſagte
Armgard.

„Wenn du darauf dringſt, gewiß. Aber es liegt
ſchwieriger damit, als du denkſt. Solche Kinder, ganz
im Gegenſatz zur Pädagogenſchablone, muß man ſich
ſelbſt überlaſſen. Der gefährlichere Weg, wenn über¬
haupt was Gutes in ihnen ſteckt, iſt jedesmal der
beſſere. Dann bekehren ſie ſich aus ſich ſelbſt heraus.
Wenn aber irgend ein Zwang dieſe Bekehrung

Fontane, Der Stechlin. 33
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[513/0520] drei beſtiegen den Wagen, deſſen Verdeck zurückgeſchlagen war. Krippenſtapel entſchuldigte Lorenzen, „der wegen einer Trauung behindert ſei“, und ſo wäre denn alles in beſter Ordnung geweſen, wenn unſer trefflicher alter Muſeumsdirektor nur vor Antritt ſeiner Fahrt nach Granſee von einer Herausbeſſerung ſeines äußeren Menſchen Abſtand genommen hätte. Das war ihm aber unzuläſſig erſchienen, und ſo ſaß er denn jetzt dem jungen Paare gegenüber, angethan mit einem Schlipsſtreifen und einem großen Chemiſettevorbau. Der Schlips war ſo ſchmal, daß nicht bloß der zur Befeſtigung der Vater¬ mörder dienende Hemdkragenrand in halber Höhe ſicht¬ bar wurde, ſondern leider auch der aus einem keilartigen Ausſchnitt hervorlugende Adamsapfel, der ſich nun, wie ein Ding für ſich, beſtändig hin und her bewegte. Die Verlegenheit Armgards, deren Auge ſich — natürlich ganz gegen ihren Willen — unausgeſetzt auf dies Naturſpiel richten mußte, wäre denn auch von Moment zu Moment immer größer geworden, wenn nicht Krippenſtapels un¬ befangene Haltung ſchließlich über alles wieder hinweg geholfen hätte. Dazu kam noch, daß ſeiner Unbefangenheit ſeine Mitteilſamkeit entſprach. Er erzählte von dem Begräb¬ nis und wer vom Grafſchaftsadel alles dageweſen ſei. Dann kam Thormeyer an die Reihe, dann Katzenſtein und die Domina und zuletzt auch „lütt Agnes“. „Des Kindes müſſen wir uns annehmen,“ ſagte Armgard. „Wenn du darauf dringſt, gewiß. Aber es liegt ſchwieriger damit, als du denkſt. Solche Kinder, ganz im Gegenſatz zur Pädagogenſchablone, muß man ſich ſelbſt überlaſſen. Der gefährlichere Weg, wenn über¬ haupt was Gutes in ihnen ſteckt, iſt jedesmal der beſſere. Dann bekehren ſie ſich aus ſich ſelbſt heraus. Wenn aber irgend ein Zwang dieſe Bekehrung Fontane, Der Stechlin. 33

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/520>, abgerufen am 26.04.2024.