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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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nicht an Behagen für ihn gewonnen hatte. Er hielt
sich zu den lustigen Plätzen, die ihm das Marketen¬
derzelt in Erinnerung riefen; da wo Karten und Wür¬
fel fallen, wo der Schoppen kreist und ein frischer
Soldatenschwank nicht selten die Zeche bezahlt.

In der engen, dumpfen Soldatenkammer daheim
aber saß seufzend und stichelnd die alternde Marketen¬
derin, ohne sich Rast zu gönnen zu einem Liebesblick
in schwerer Mühe und Sorge für ihr Kind. Von
Woche zu Woche wurden ihre Wangen hohler, die
Finger zitternder, der Athem kürzer, aber sie seufzte
und stichelte noch immer den ganzen Tag und die
halbe Nacht.

Endlich jedoch kam die Stunde, in welcher alles
Sticheln und Seufzen ein Ende hat, und es war eine
Sterbekammer, in die der sorglose Zecher aus dem
Schenkhause berufen wurde. August Müller hatte in
seinen jungen Tagen Tausende von Männern, aber
noch nie eine Frau sterben sehen; er hatte niemals
früher daran gedacht, daß der Tod ein Geschäft auch
für Weiber sei, selber für so tapfere Weiber, wie
seine Lisette eines gewesen war. Nun tobte und schrie
er vor dem ungeahnten Bild, zerraufte sein Haar und
zerschlug sich die Brust.

nicht an Behagen für ihn gewonnen hatte. Er hielt
ſich zu den luſtigen Plätzen, die ihm das Marketen¬
derzelt in Erinnerung riefen; da wo Karten und Wür¬
fel fallen, wo der Schoppen kreiſt und ein friſcher
Soldatenſchwank nicht ſelten die Zeche bezahlt.

In der engen, dumpfen Soldatenkammer daheim
aber ſaß ſeufzend und ſtichelnd die alternde Marketen¬
derin, ohne ſich Raſt zu gönnen zu einem Liebesblick
in ſchwerer Mühe und Sorge für ihr Kind. Von
Woche zu Woche wurden ihre Wangen hohler, die
Finger zitternder, der Athem kürzer, aber ſie ſeufzte
und ſtichelte noch immer den ganzen Tag und die
halbe Nacht.

Endlich jedoch kam die Stunde, in welcher alles
Sticheln und Seufzen ein Ende hat, und es war eine
Sterbekammer, in die der ſorgloſe Zecher aus dem
Schenkhauſe berufen wurde. Auguſt Müller hatte in
ſeinen jungen Tagen Tauſende von Männern, aber
noch nie eine Frau ſterben ſehen; er hatte niemals
früher daran gedacht, daß der Tod ein Geſchäft auch
für Weiber ſei, ſelber für ſo tapfere Weiber, wie
ſeine Liſette eines geweſen war. Nun tobte und ſchrie
er vor dem ungeahnten Bild, zerraufte ſein Haar und
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[36/0043] nicht an Behagen für ihn gewonnen hatte. Er hielt ſich zu den luſtigen Plätzen, die ihm das Marketen¬ derzelt in Erinnerung riefen; da wo Karten und Wür¬ fel fallen, wo der Schoppen kreiſt und ein friſcher Soldatenſchwank nicht ſelten die Zeche bezahlt. In der engen, dumpfen Soldatenkammer daheim aber ſaß ſeufzend und ſtichelnd die alternde Marketen¬ derin, ohne ſich Raſt zu gönnen zu einem Liebesblick in ſchwerer Mühe und Sorge für ihr Kind. Von Woche zu Woche wurden ihre Wangen hohler, die Finger zitternder, der Athem kürzer, aber ſie ſeufzte und ſtichelte noch immer den ganzen Tag und die halbe Nacht. Endlich jedoch kam die Stunde, in welcher alles Sticheln und Seufzen ein Ende hat, und es war eine Sterbekammer, in die der ſorgloſe Zecher aus dem Schenkhauſe berufen wurde. Auguſt Müller hatte in ſeinen jungen Tagen Tauſende von Männern, aber noch nie eine Frau ſterben ſehen; er hatte niemals früher daran gedacht, daß der Tod ein Geſchäft auch für Weiber ſei, ſelber für ſo tapfere Weiber, wie ſeine Liſette eines geweſen war. Nun tobte und ſchrie er vor dem ungeahnten Bild, zerraufte ſein Haar und zerſchlug ſich die Bruſt.

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/43>, abgerufen am 26.04.2024.