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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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sammenschauerte, oder mit wunden Füßchen stumm,
wie immer, am Wege niederhockte, für sie hatte er
einen Zaubernamen gefunden, dessen Klang ihr immer
wieder frische Kraft verlieh. "Fräulein Hardine!"
lautete der Name. "Vorwärts zu Fräulein Hardinen!"
oder "Bald sind wir bei Fräulein Hardinen!" brauchte
der Vater nur zu sagen und die Kleine schleppte sich
weiter, bis sich eine Herberge aufgethan. "Fräulein
Hardine" war das einzige Wort, das sie während der
langen Reise gemerkt oder leise nachgelallt hatte.
Vielleicht, daß in dem kleinen Herzen ein Echo mütter¬
licher Seufzer und Tröstungen lebendig geworden war.

Man sagt: ein brechendes Auge sieht klar; und
gewiß liegt etwas Ergreifendes in der Zuversicht, die,
sei's für Diesseits, sei's für Jenseits, auf einem
Sterbebette verkündet wird. Auch August Müller war
einen Augenblick von dem Glauben geblendet worden,
in den sich seine Frau Jahre lang hineingegrübelt
und dessen sie sich in ihrer letzten Sorgenstunde ge¬
tröstet hatte. Im Grunde des Herzens aber hatte
er, wie früherhin, so auch jetzt, Fräulein Hardinens
niemals als einer Blutsverwandten gedacht, und den
Weg zur Heimath keineswegs mit dem Anspruch von
Sohnesrechten angetreten. Er hoffte für sein mutter¬

ſammenſchauerte, oder mit wunden Füßchen ſtumm,
wie immer, am Wege niederhockte, für ſie hatte er
einen Zaubernamen gefunden, deſſen Klang ihr immer
wieder friſche Kraft verlieh. „Fräulein Hardine!“
lautete der Name. „Vorwärts zu Fräulein Hardinen!“
oder „Bald ſind wir bei Fräulein Hardinen!“ brauchte
der Vater nur zu ſagen und die Kleine ſchleppte ſich
weiter, bis ſich eine Herberge aufgethan. „Fräulein
Hardine“ war das einzige Wort, das ſie während der
langen Reiſe gemerkt oder leiſe nachgelallt hatte.
Vielleicht, daß in dem kleinen Herzen ein Echo mütter¬
licher Seufzer und Tröſtungen lebendig geworden war.

Man ſagt: ein brechendes Auge ſieht klar; und
gewiß liegt etwas Ergreifendes in der Zuverſicht, die,
ſei's für Dieſſeits, ſei's für Jenſeits, auf einem
Sterbebette verkündet wird. Auch Auguſt Müller war
einen Augenblick von dem Glauben geblendet worden,
in den ſich ſeine Frau Jahre lang hineingegrübelt
und deſſen ſie ſich in ihrer letzten Sorgenſtunde ge¬
tröſtet hatte. Im Grunde des Herzens aber hatte
er, wie früherhin, ſo auch jetzt, Fräulein Hardinens
niemals als einer Blutsverwandten gedacht, und den
Weg zur Heimath keineswegs mit dem Anſpruch von
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[43/0050] ſammenſchauerte, oder mit wunden Füßchen ſtumm, wie immer, am Wege niederhockte, für ſie hatte er einen Zaubernamen gefunden, deſſen Klang ihr immer wieder friſche Kraft verlieh. „Fräulein Hardine!“ lautete der Name. „Vorwärts zu Fräulein Hardinen!“ oder „Bald ſind wir bei Fräulein Hardinen!“ brauchte der Vater nur zu ſagen und die Kleine ſchleppte ſich weiter, bis ſich eine Herberge aufgethan. „Fräulein Hardine“ war das einzige Wort, das ſie während der langen Reiſe gemerkt oder leiſe nachgelallt hatte. Vielleicht, daß in dem kleinen Herzen ein Echo mütter¬ licher Seufzer und Tröſtungen lebendig geworden war. Man ſagt: ein brechendes Auge ſieht klar; und gewiß liegt etwas Ergreifendes in der Zuverſicht, die, ſei's für Dieſſeits, ſei's für Jenſeits, auf einem Sterbebette verkündet wird. Auch Auguſt Müller war einen Augenblick von dem Glauben geblendet worden, in den ſich ſeine Frau Jahre lang hineingegrübelt und deſſen ſie ſich in ihrer letzten Sorgenſtunde ge¬ tröſtet hatte. Im Grunde des Herzens aber hatte er, wie früherhin, ſo auch jetzt, Fräulein Hardinens niemals als einer Blutsverwandten gedacht, und den Weg zur Heimath keineswegs mit dem Anſpruch von Sohnesrechten angetreten. Er hoffte für ſein mutter¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/50>, abgerufen am 26.04.2024.