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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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le statt hat. Einem Toden riß er die Muskeln leicht
quer ab. Ein Arbeiter ließ sich an einem Finger 600
Schuhe hoch ziehen. Einem andern schnellte eine zwar
schnellere aber viel geringere Kraft unvermuthet an
zwey Handmuskeln die Fiebern quer ab. Ein Fischer
verfehlte das Land im Sprunge; statt des Wadenmus-
kels sprang bey der heftigen Anstrengung die Archilles-
flechse ab. Eben dieses widerfuhr einem Tänzer.*)

Die Heiterkeit und Zufriedenheit des Gemüthes
haben vielen Einfluß auf die Gesundheit und Munter-
keit des Körpers, ja auf ein langes Leben: So, wie
das Verderben des Gemüthes der Gesundheit und dem
Leben gefährlich wird, geringe Wiederwärtigkeiten
vergrößert, und durch Verzweiflung endlich die Ent-
schließung des Selbstmordes zuziehen kann. -- Das
Irreseyn der Kranken ist ohne Zweifel das Resultat
sowohl verdorbener Sinneswerkzeuge, als der Wirk-
samkeit der Seele selbst. Solche Leute gehen meistens
von einer Idee aus, die sie entweder zuvor lange be-
schäftigt, oder sehr gerührt hatte. Auf sie beziehen
sie alles, und alles muß mit ihr in eine Verbindung
gebracht werden. Dadurch entsteht in der Seele des
Kranken ein eigne Welt: Er verbindet nicht nach
dem Eindruck der Sensationen, sondern alles nach der
herrschenden Idee, worunter sich die Sensationen dun-
kel vermischen. Die Frau, deren Geschichte im zweyten
Kapitel bey den leidenschaftlichen Krankheiten vorkömmt,
hatte zuvor wechselweise, heftige entgegengesetzte Ge-

müths-
*) Praktische Anmerkungen über die Muskeln S. 168--171.
Gall I. Band. N

le ſtatt hat. Einem Toden riß er die Muskeln leicht
quer ab. Ein Arbeiter ließ ſich an einem Finger 600
Schuhe hoch ziehen. Einem andern ſchnellte eine zwar
ſchnellere aber viel geringere Kraft unvermuthet an
zwey Handmuskeln die Fiebern quer ab. Ein Fiſcher
verfehlte das Land im Sprunge; ſtatt des Wadenmus-
kels ſprang bey der heftigen Anſtrengung die Archilles-
flechſe ab. Eben dieſes widerfuhr einem Taͤnzer.*)

Die Heiterkeit und Zufriedenheit des Gemuͤthes
haben vielen Einfluß auf die Geſundheit und Munter-
keit des Koͤrpers, ja auf ein langes Leben: So, wie
das Verderben des Gemuͤthes der Geſundheit und dem
Leben gefaͤhrlich wird, geringe Wiederwaͤrtigkeiten
vergroͤßert, und durch Verzweiflung endlich die Ent-
ſchließung des Selbſtmordes zuziehen kann. — Das
Irreſeyn der Kranken iſt ohne Zweifel das Reſultat
ſowohl verdorbener Sinneswerkzeuge, als der Wirk-
ſamkeit der Seele ſelbſt. Solche Leute gehen meiſtens
von einer Idee aus, die ſie entweder zuvor lange be-
ſchaͤftigt, oder ſehr geruͤhrt hatte. Auf ſie beziehen
ſie alles, und alles muß mit ihr in eine Verbindung
gebracht werden. Dadurch entſteht in der Seele des
Kranken ein eigne Welt: Er verbindet nicht nach
dem Eindruck der Senſationen, ſondern alles nach der
herrſchenden Idee, worunter ſich die Senſationen dun-
kel vermiſchen. Die Frau, deren Geſchichte im zweyten
Kapitel bey den leidenſchaftlichen Krankheiten vorkoͤmmt,
hatte zuvor wechſelweiſe, heftige entgegengeſetzte Ge-

muͤths-
*) Praktiſche Anmerkungen uͤber die Muskeln S. 168—171.
Gall I. Band. N
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[193/0212] le ſtatt hat. Einem Toden riß er die Muskeln leicht quer ab. Ein Arbeiter ließ ſich an einem Finger 600 Schuhe hoch ziehen. Einem andern ſchnellte eine zwar ſchnellere aber viel geringere Kraft unvermuthet an zwey Handmuskeln die Fiebern quer ab. Ein Fiſcher verfehlte das Land im Sprunge; ſtatt des Wadenmus- kels ſprang bey der heftigen Anſtrengung die Archilles- flechſe ab. Eben dieſes widerfuhr einem Taͤnzer. *) Die Heiterkeit und Zufriedenheit des Gemuͤthes haben vielen Einfluß auf die Geſundheit und Munter- keit des Koͤrpers, ja auf ein langes Leben: So, wie das Verderben des Gemuͤthes der Geſundheit und dem Leben gefaͤhrlich wird, geringe Wiederwaͤrtigkeiten vergroͤßert, und durch Verzweiflung endlich die Ent- ſchließung des Selbſtmordes zuziehen kann. — Das Irreſeyn der Kranken iſt ohne Zweifel das Reſultat ſowohl verdorbener Sinneswerkzeuge, als der Wirk- ſamkeit der Seele ſelbſt. Solche Leute gehen meiſtens von einer Idee aus, die ſie entweder zuvor lange be- ſchaͤftigt, oder ſehr geruͤhrt hatte. Auf ſie beziehen ſie alles, und alles muß mit ihr in eine Verbindung gebracht werden. Dadurch entſteht in der Seele des Kranken ein eigne Welt: Er verbindet nicht nach dem Eindruck der Senſationen, ſondern alles nach der herrſchenden Idee, worunter ſich die Senſationen dun- kel vermiſchen. Die Frau, deren Geſchichte im zweyten Kapitel bey den leidenſchaftlichen Krankheiten vorkoͤmmt, hatte zuvor wechſelweiſe, heftige entgegengeſetzte Ge- muͤths- *) Praktiſche Anmerkungen uͤber die Muskeln S. 168—171. Gall I. Band. N

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/212>, abgerufen am 27.04.2024.