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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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zuweilen alles versucht hat, einen Schweiß, einen
Stuhl zu erhalten, so geschieht dieses sehr leicht, so
bald man nur einige Tropfen Blut abgezapft, oder
die Heilmittel zu einer angemeßnern Zeit dargereicht
hat. Zacutus Lusitanus drehete einem, der die
Hirnwuth hatte, einen in Form eines Sternes gespal-
tenen Federkiel in der Nase herum; es entstund ein
Nasenbluten, und alsobald folgten Schweiß und
Bauchfluß. -- Wie viele Krankheiten werden durch
die blosse Veränderung der Nahrung, des Wohnor-
tes, der Jahrszeit, des Alters, des Gemüthszustan-
des vollständig geheilt, da sie bey den kräftigsten
Mitteln unter andern Umständen unheilbar waren!
Die ungesunden Bewohner der asiatischen Insel Ba-
tavia erhalten in kurzer Zeit ihre Gesundheit, wenn
sie nach den unweit von ihrer Hauptstadt entlegenen
Gebirgen reisen. -- Wer heilt in allen diesen Fällen,
die Heilmittel, oder die Natur? Wenn bey einem
Blatternkranken die Natur gehindert ist, den Blat-
terstoff auf die Haut zu verwerfen, und die krampf-
hafte von zu mächtigem Reize entstandene Schnürung
wird durch eine Aderlässe, durch Mohnsaft, durch ein
laues Baad gelöset, worauf der Blatternausbruch
glücklich von statten geht; was hat hier der Arzt,
was hat die Natur gethan?

Was ist die Ursache, warum das nämliche
Verfahren nach Verschiedenheit der Umstände verschie-
dene und entgegengesetzte Wirkungen hervor bringt?
-- Hier wird eine Aderläße das Fieber, den Blutfluß,
die Kopfschmerzen, die Zuckungen stillen; dort wird

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zuweilen alles verſucht hat, einen Schweiß, einen
Stuhl zu erhalten, ſo geſchieht dieſes ſehr leicht, ſo
bald man nur einige Tropfen Blut abgezapft, oder
die Heilmittel zu einer angemeßnern Zeit dargereicht
hat. Zacutus Luſitanus drehete einem, der die
Hirnwuth hatte, einen in Form eines Sternes geſpal-
tenen Federkiel in der Naſe herum; es entſtund ein
Naſenbluten, und alſobald folgten Schweiß und
Bauchfluß. — Wie viele Krankheiten werden durch
die bloſſe Veraͤnderung der Nahrung, des Wohnor-
tes, der Jahrszeit, des Alters, des Gemuͤthszuſtan-
des vollſtaͤndig geheilt, da ſie bey den kraͤftigſten
Mitteln unter andern Umſtaͤnden unheilbar waren!
Die ungeſunden Bewohner der aſiatiſchen Inſel Ba-
tavia erhalten in kurzer Zeit ihre Geſundheit, wenn
ſie nach den unweit von ihrer Hauptſtadt entlegenen
Gebirgen reiſen. — Wer heilt in allen dieſen Faͤllen,
die Heilmittel, oder die Natur? Wenn bey einem
Blatternkranken die Natur gehindert iſt, den Blat-
terſtoff auf die Haut zu verwerfen, und die krampf-
hafte von zu maͤchtigem Reize entſtandene Schnuͤrung
wird durch eine Aderlaͤſſe, durch Mohnſaft, durch ein
laues Baad geloͤſet, worauf der Blatternausbruch
gluͤcklich von ſtatten geht; was hat hier der Arzt,
was hat die Natur gethan?

Was iſt die Urſache, warum das naͤmliche
Verfahren nach Verſchiedenheit der Umſtaͤnde verſchie-
dene und entgegengeſetzte Wirkungen hervor bringt?
— Hier wird eine Aderlaͤße das Fieber, den Blutfluß,
die Kopfſchmerzen, die Zuckungen ſtillen; dort wird

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[243/0262] zuweilen alles verſucht hat, einen Schweiß, einen Stuhl zu erhalten, ſo geſchieht dieſes ſehr leicht, ſo bald man nur einige Tropfen Blut abgezapft, oder die Heilmittel zu einer angemeßnern Zeit dargereicht hat. Zacutus Luſitanus drehete einem, der die Hirnwuth hatte, einen in Form eines Sternes geſpal- tenen Federkiel in der Naſe herum; es entſtund ein Naſenbluten, und alſobald folgten Schweiß und Bauchfluß. — Wie viele Krankheiten werden durch die bloſſe Veraͤnderung der Nahrung, des Wohnor- tes, der Jahrszeit, des Alters, des Gemuͤthszuſtan- des vollſtaͤndig geheilt, da ſie bey den kraͤftigſten Mitteln unter andern Umſtaͤnden unheilbar waren! Die ungeſunden Bewohner der aſiatiſchen Inſel Ba- tavia erhalten in kurzer Zeit ihre Geſundheit, wenn ſie nach den unweit von ihrer Hauptſtadt entlegenen Gebirgen reiſen. — Wer heilt in allen dieſen Faͤllen, die Heilmittel, oder die Natur? Wenn bey einem Blatternkranken die Natur gehindert iſt, den Blat- terſtoff auf die Haut zu verwerfen, und die krampf- hafte von zu maͤchtigem Reize entſtandene Schnuͤrung wird durch eine Aderlaͤſſe, durch Mohnſaft, durch ein laues Baad geloͤſet, worauf der Blatternausbruch gluͤcklich von ſtatten geht; was hat hier der Arzt, was hat die Natur gethan? Was iſt die Urſache, warum das naͤmliche Verfahren nach Verſchiedenheit der Umſtaͤnde verſchie- dene und entgegengeſetzte Wirkungen hervor bringt? — Hier wird eine Aderlaͤße das Fieber, den Blutfluß, die Kopfſchmerzen, die Zuckungen ſtillen; dort wird es Q 2

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/262>, abgerufen am 26.04.2024.