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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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Zweiter Abschnitt.
gewalt entzogen, -- ein Satz, in welchem das ältere
Hausrecht und das heutige Verfassungsrecht, beide aus
selbständigen Gründen, zusammenstimmen.8

b) Allgemeine Voraussetzungen.
§. 30.

Für jeden Anspruch auf ein Thronfolgerecht, wel-
cher auf die Abstammung von einem höheren Erwerber

8 Jeder einzelne zur Thronfolge Berechtigte kann übrigens
auf dieses Recht der Anwartschaft verzichten. Die Wirkung ist
dann die, dass er beim Anfalle als nicht vorhanden angesehen wird.
Ist ein Agnat auf diese Weise aus der Reihe der Thronberechtig-
ten ausgetreten, so wirkt diess auch auf seine später erzeugten
Descendenten (denn als sie ins Leben traten, war die Kette, welche
sie mit dem stiftenden Ahnherrn verbinden muss, schon zer-
brochen); die schon Erzeugten müssen dagegen selbständig ein-
willigen, wenn auch sie in dem Verzichte einbegriffen sein sollen.
Ein Recht, seine Anwartschaft auf Andere (selbst innerhalb des
Agnatenkreises) zu übertragen, also ein Recht der Cession des
Thronfolgerechts, kann im heutigen Rechte nicht als bestehend
betrachtet werden. Denn die verfassungsmässige Thronfolge-
ordnung will keine Verfügung über das Thronfolgerecht ge-
währen, sie will nur berufen; kann oder will der Berufene nicht
folgen, so ist sie es, die bereits über die Nachfolge verfügt hat.
Bei dem absoluten Character der verfassungsmässigen Thronfolge-
ordnung nach Erstgeburtsrecht dürfte daher auch der Vorbehalt
eines Rückfalls der Thronfolge an die verzichtende Linie jetzt
nicht mehr bloss durch ein hausrechtliches Rechtsgeschäft, sondern
nur noch auf dem Wege einer verfassungsgesetzlichen Ergänzung
der Primogeniturordnung (vorausgesetzt auch die Zustimmung der
hierbei etwa betheiligten Agnaten) mit rechtlicher Wirksamkeit
ausführbar erscheinen. Für das ältere Fürstenrecht mit seiner
mehr privatrechtlichen Dispositionsgewalt über die Landesherr-
schaft gelten allerdings andere Grundsätze; und diese mögen auch
für diejenigen noch jetzt zur Anwendung kommen, welche mit
ihren Eventualrechten noch ausserhalb des durch die verfassungs-
mässige Primogeniturordnung bereits beherrschten Agnatenkreises
stehen. Aber auch hier verstand sich der Vorbehalt des Rückfalls
des cedirten Rechts nicht von selbst.

Zweiter Abschnitt.
gewalt entzogen, — ein Satz, in welchem das ältere
Hausrecht und das heutige Verfassungsrecht, beide aus
selbständigen Gründen, zusammenstimmen.8

b) Allgemeine Voraussetzungen.
§. 30.

Für jeden Anspruch auf ein Thronfolgerecht, wel-
cher auf die Abstammung von einem höheren Erwerber

8 Jeder einzelne zur Thronfolge Berechtigte kann übrigens
auf dieses Recht der Anwartschaft verzichten. Die Wirkung ist
dann die, dass er beim Anfalle als nicht vorhanden angesehen wird.
Ist ein Agnat auf diese Weise aus der Reihe der Thronberechtig-
ten ausgetreten, so wirkt diess auch auf seine später erzeugten
Descendenten (denn als sie ins Leben traten, war die Kette, welche
sie mit dem stiftenden Ahnherrn verbinden muss, schon zer-
brochen); die schon Erzeugten müssen dagegen selbständig ein-
willigen, wenn auch sie in dem Verzichte einbegriffen sein sollen.
Ein Recht, seine Anwartschaft auf Andere (selbst innerhalb des
Agnatenkreises) zu übertragen, also ein Recht der Cession des
Thronfolgerechts, kann im heutigen Rechte nicht als bestehend
betrachtet werden. Denn die verfassungsmässige Thronfolge-
ordnung will keine Verfügung über das Thronfolgerecht ge-
währen, sie will nur berufen; kann oder will der Berufene nicht
folgen, so ist sie es, die bereits über die Nachfolge verfügt hat.
Bei dem absoluten Character der verfassungsmässigen Thronfolge-
ordnung nach Erstgeburtsrecht dürfte daher auch der Vorbehalt
eines Rückfalls der Thronfolge an die verzichtende Linie jetzt
nicht mehr bloss durch ein hausrechtliches Rechtsgeschäft, sondern
nur noch auf dem Wege einer verfassungsgesetzlichen Ergänzung
der Primogeniturordnung (vorausgesetzt auch die Zustimmung der
hierbei etwa betheiligten Agnaten) mit rechtlicher Wirksamkeit
ausführbar erscheinen. Für das ältere Fürstenrecht mit seiner
mehr privatrechtlichen Dispositionsgewalt über die Landesherr-
schaft gelten allerdings andere Grundsätze; und diese mögen auch
für diejenigen noch jetzt zur Anwendung kommen, welche mit
ihren Eventualrechten noch ausserhalb des durch die verfassungs-
mässige Primogeniturordnung bereits beherrschten Agnatenkreises
stehen. Aber auch hier verstand sich der Vorbehalt des Rückfalls
des cedirten Rechts nicht von selbst.
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[86/0104] Zweiter Abschnitt. gewalt entzogen, — ein Satz, in welchem das ältere Hausrecht und das heutige Verfassungsrecht, beide aus selbständigen Gründen, zusammenstimmen. 8 b) Allgemeine Voraussetzungen. §. 30. Für jeden Anspruch auf ein Thronfolgerecht, wel- cher auf die Abstammung von einem höheren Erwerber 8 Jeder einzelne zur Thronfolge Berechtigte kann übrigens auf dieses Recht der Anwartschaft verzichten. Die Wirkung ist dann die, dass er beim Anfalle als nicht vorhanden angesehen wird. Ist ein Agnat auf diese Weise aus der Reihe der Thronberechtig- ten ausgetreten, so wirkt diess auch auf seine später erzeugten Descendenten (denn als sie ins Leben traten, war die Kette, welche sie mit dem stiftenden Ahnherrn verbinden muss, schon zer- brochen); die schon Erzeugten müssen dagegen selbständig ein- willigen, wenn auch sie in dem Verzichte einbegriffen sein sollen. Ein Recht, seine Anwartschaft auf Andere (selbst innerhalb des Agnatenkreises) zu übertragen, also ein Recht der Cession des Thronfolgerechts, kann im heutigen Rechte nicht als bestehend betrachtet werden. Denn die verfassungsmässige Thronfolge- ordnung will keine Verfügung über das Thronfolgerecht ge- währen, sie will nur berufen; kann oder will der Berufene nicht folgen, so ist sie es, die bereits über die Nachfolge verfügt hat. Bei dem absoluten Character der verfassungsmässigen Thronfolge- ordnung nach Erstgeburtsrecht dürfte daher auch der Vorbehalt eines Rückfalls der Thronfolge an die verzichtende Linie jetzt nicht mehr bloss durch ein hausrechtliches Rechtsgeschäft, sondern nur noch auf dem Wege einer verfassungsgesetzlichen Ergänzung der Primogeniturordnung (vorausgesetzt auch die Zustimmung der hierbei etwa betheiligten Agnaten) mit rechtlicher Wirksamkeit ausführbar erscheinen. Für das ältere Fürstenrecht mit seiner mehr privatrechtlichen Dispositionsgewalt über die Landesherr- schaft gelten allerdings andere Grundsätze; und diese mögen auch für diejenigen noch jetzt zur Anwendung kommen, welche mit ihren Eventualrechten noch ausserhalb des durch die verfassungs- mässige Primogeniturordnung bereits beherrschten Agnatenkreises stehen. Aber auch hier verstand sich der Vorbehalt des Rückfalls des cedirten Rechts nicht von selbst.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/104>, abgerufen am 27.04.2024.