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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Ungleichförmige Bewegung.
VI. Kapitel.
Ungleichförmige Bewegung.
§. 480.

Wir haben §. 8 die Begriffe von Bewegung, Raum, Zeit und Geschwindigkeit aufgestellt,
und weiter bemerkt, dass eine jede Bewegung entweder gleichförmig oder ungleich-
förmig
sey. Da wir die gleichförmige Bewegung bereits abgehandelt haben, so über-
gehen wir sogleich zur gleichförmig beschleunigten Bewegung.

Eine jede gleichförmig beschleunigte Bewegung kann nur dadurch ent-
stehen, wenn ein Körper, der entweder schon in Bewegung ist, oder sich in Ruhe be-
findet, eine Einwirkung von einer Kraft dergestalt erleidet, dass diese Kraft während
der ganzen Zeit, als die Bewegung fortdauert, gleichstark auf den Körper wirkt. Der
freie Fall aller schweren Körper biethet uns das erste Beispiel einer gleich-
förmig beschleunigten Bewegung dar. Es ist nämlich bekannt, dass ein jeder Körper
gegen seine Unterlage drückt (welcher Druck sein absolutes Gewicht bestimmt), und dass
der Körper herabfällt, sobald die Unterlage weggenommen wird. Die Ursache dieses
Druckes und des Falles der Körper ist eine Kraft, welche die innersten Theile dersel-
ben gleichsam durchdringt, und Schwere oder Schwerkraft (la gravite) genannt
wird. Diese Kraft wirkt auf alle Theile der Materie eines Körpers zu allen Zeiten gleich
stark ein, und ertheilt einem jeden Körper, der aus der Ruhe fällt, dieselbe Bewegung;
man kann demnach die Schwere nahe an der Oberfläche der Erde als eine beständige
Kraft
annehmen. Die Physik lehrt uns zwar, dass die in gleichen Zeiten beschriebe-
nen Räume am Aequator kleiner, und bei den Polen grösser sind, weil die Körper am
ersten Orte vom Mittelpunkte der Erde weiter entfernt, als bei den Polen sind, allein
die Unterschiede, welche hiedurch im Falle der Körper entstehen, sind so unbedeutend,
dass sie bei den gewöhnlichen Berechnungen der Mechanik ohne Anstand ausser Acht
gelassen werden können.

§. 481.

Die Gleichung für die Geschwindigkeit eines frei fallenden Kör-
pers nach jeder gegebenen Zeit
findet man auf folgende Art: Wenn ein
Körper frei herabfällt, so hat er im Augenblicke, bevor er seine Bewegung anfängt,
noch keine Geschwindigkeit, oder dieselbe ist = 0. Wie er sich nun selbst über-
lassen wird, so fällt er in senkrechter Richtung auf die Oberfläche des Wassers oder
gegen den Schwerpunkt der Erde, welcher gewöhnlich im Mittelpunkte derselben ange-
nommen wird, herab, und nimmt eine Geschwindigkeit an, welche wir nach Ablauf
oder am Ende der ersten Sekunde = c setzen wollen. Da nun der Körper durch die
erworbene Geschwindigkeit die Fähigkeit hat, in jeder folgenden Sekunde den Raum c

Ungleichförmige Bewegung.
VI. Kapitel.
Ungleichförmige Bewegung.
§. 480.

Wir haben §. 8 die Begriffe von Bewegung, Raum, Zeit und Geschwindigkeit aufgestellt,
und weiter bemerkt, dass eine jede Bewegung entweder gleichförmig oder ungleich-
förmig
sey. Da wir die gleichförmige Bewegung bereits abgehandelt haben, so über-
gehen wir sogleich zur gleichförmig beschleunigten Bewegung.

Eine jede gleichförmig beschleunigte Bewegung kann nur dadurch ent-
stehen, wenn ein Körper, der entweder schon in Bewegung ist, oder sich in Ruhe be-
findet, eine Einwirkung von einer Kraft dergestalt erleidet, dass diese Kraft während
der ganzen Zeit, als die Bewegung fortdauert, gleichstark auf den Körper wirkt. Der
freie Fall aller schweren Körper biethet uns das erste Beispiel einer gleich-
förmig beschleunigten Bewegung dar. Es ist nämlich bekannt, dass ein jeder Körper
gegen seine Unterlage drückt (welcher Druck sein absolutes Gewicht bestimmt), und dass
der Körper herabfällt, sobald die Unterlage weggenommen wird. Die Ursache dieses
Druckes und des Falles der Körper ist eine Kraft, welche die innersten Theile dersel-
ben gleichsam durchdringt, und Schwere oder Schwerkraft (la gravité) genannt
wird. Diese Kraft wirkt auf alle Theile der Materie eines Körpers zu allen Zeiten gleich
stark ein, und ertheilt einem jeden Körper, der aus der Ruhe fällt, dieselbe Bewegung;
man kann demnach die Schwere nahe an der Oberfläche der Erde als eine beständige
Kraft
annehmen. Die Physik lehrt uns zwar, dass die in gleichen Zeiten beschriebe-
nen Räume am Aequator kleiner, und bei den Polen grösser sind, weil die Körper am
ersten Orte vom Mittelpunkte der Erde weiter entfernt, als bei den Polen sind, allein
die Unterschiede, welche hiedurch im Falle der Körper entstehen, sind so unbedeutend,
dass sie bei den gewöhnlichen Berechnungen der Mechanik ohne Anstand ausser Acht
gelassen werden können.

§. 481.

Die Gleichung für die Geschwindigkeit eines frei fallenden Kör-
pers nach jeder gegebenen Zeit
findet man auf folgende Art: Wenn ein
Körper frei herabfällt, so hat er im Augenblicke, bevor er seine Bewegung anfängt,
noch keine Geschwindigkeit, oder dieselbe ist = 0. Wie er sich nun selbst über-
lassen wird, so fällt er in senkrechter Richtung auf die Oberfläche des Wassers oder
gegen den Schwerpunkt der Erde, welcher gewöhnlich im Mittelpunkte derselben ange-
nommen wird, herab, und nimmt eine Geschwindigkeit an, welche wir nach Ablauf
oder am Ende der ersten Sekunde = c setzen wollen. Da nun der Körper durch die
erworbene Geschwindigkeit die Fähigkeit hat, in jeder folgenden Sekunde den Raum c

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[533/0565] Ungleichförmige Bewegung. VI. Kapitel. Ungleichförmige Bewegung. §. 480. Wir haben §. 8 die Begriffe von Bewegung, Raum, Zeit und Geschwindigkeit aufgestellt, und weiter bemerkt, dass eine jede Bewegung entweder gleichförmig oder ungleich- förmig sey. Da wir die gleichförmige Bewegung bereits abgehandelt haben, so über- gehen wir sogleich zur gleichförmig beschleunigten Bewegung. Eine jede gleichförmig beschleunigte Bewegung kann nur dadurch ent- stehen, wenn ein Körper, der entweder schon in Bewegung ist, oder sich in Ruhe be- findet, eine Einwirkung von einer Kraft dergestalt erleidet, dass diese Kraft während der ganzen Zeit, als die Bewegung fortdauert, gleichstark auf den Körper wirkt. Der freie Fall aller schweren Körper biethet uns das erste Beispiel einer gleich- förmig beschleunigten Bewegung dar. Es ist nämlich bekannt, dass ein jeder Körper gegen seine Unterlage drückt (welcher Druck sein absolutes Gewicht bestimmt), und dass der Körper herabfällt, sobald die Unterlage weggenommen wird. Die Ursache dieses Druckes und des Falles der Körper ist eine Kraft, welche die innersten Theile dersel- ben gleichsam durchdringt, und Schwere oder Schwerkraft (la gravité) genannt wird. Diese Kraft wirkt auf alle Theile der Materie eines Körpers zu allen Zeiten gleich stark ein, und ertheilt einem jeden Körper, der aus der Ruhe fällt, dieselbe Bewegung; man kann demnach die Schwere nahe an der Oberfläche der Erde als eine beständige Kraft annehmen. Die Physik lehrt uns zwar, dass die in gleichen Zeiten beschriebe- nen Räume am Aequator kleiner, und bei den Polen grösser sind, weil die Körper am ersten Orte vom Mittelpunkte der Erde weiter entfernt, als bei den Polen sind, allein die Unterschiede, welche hiedurch im Falle der Körper entstehen, sind so unbedeutend, dass sie bei den gewöhnlichen Berechnungen der Mechanik ohne Anstand ausser Acht gelassen werden können. §. 481. Die Gleichung für die Geschwindigkeit eines frei fallenden Kör- pers nach jeder gegebenen Zeit findet man auf folgende Art: Wenn ein Körper frei herabfällt, so hat er im Augenblicke, bevor er seine Bewegung anfängt, noch keine Geschwindigkeit, oder dieselbe ist = 0. Wie er sich nun selbst über- lassen wird, so fällt er in senkrechter Richtung auf die Oberfläche des Wassers oder gegen den Schwerpunkt der Erde, welcher gewöhnlich im Mittelpunkte derselben ange- nommen wird, herab, und nimmt eine Geschwindigkeit an, welche wir nach Ablauf oder am Ende der ersten Sekunde = c setzen wollen. Da nun der Körper durch die erworbene Geschwindigkeit die Fähigkeit hat, in jeder folgenden Sekunde den Raum c

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/565>, abgerufen am 26.04.2024.