Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

de Iustitia et Iure.
achtet hat; so kann wohl diese nicht als ein Theil der
Usualinterpretation, sondern leztere vielmehr als ein
Theil der erstern angesehen werden. Denn die gericht-
liche Observanz betrift entweder blos die Procesform,
d. i. die Art und Weise, sein Recht vor Gericht zu
verfolgen; oder das Recht selbst; und in diesem leztern
Falle kann selbige entweder die Auslegung eines zwei-
felhaften Gesetzes, oder die Entscheidung eines gesezlich
nicht entschiedenen Rechtsfalls, die man in den Gerich-
ten angenommen und zeither befolgt hat, zum Vorwurf
haben. Solche Erfahrungen, die von klugen und auf-
geklärten Richtern in der Rechtspflege gesammlet wor-
den sind, können unstreitig zu Beurtheilung vorkom-
mender Rechtshändel sichere und gewisse Bestimmungen
darreichen, und haben desto grösern Werth, je weniger
oftmals die allgemeinen Gesetze und Verordnungen einem
Richter und Advocaten befriedigende Auskunft erthei-
len 76). Sie nehmen alsdann, durch die stillschwei-
gende Genehmigung des Landesherrn und die Länge der
Zeit unterstüzt, das Gepräge eines Gewohnheitsrechts
an, und verdienen nach den schriftlich gegebenen Gese-
tzen den vorzüglichsten Rang 77). Blose Urtheile und

Ent-
76) Hymmens Beyträge zur neuesten juristischen
Litteratur in den Preußischen Staaten
1. Samm-
lung S. 1. ff.
77) Hierher gehört die Stelle des Callistratus in L. 38.
D. de LL
. In ambiguitatibus, quae ex Legibus profi-
ciscuntur, consuetudinem, aut rerum perpetuo similiter
iudicatarum auctoritatem, vim legis
obtinere debere
.
In den römischen Gesetzen wird dieser Gerichtsgebrauch
durch die Ausdrücke ius iudiciorum L. 3. C. de dot. pro-
miss. mos legum usitatus, L. 32. C. de Transact. quoti-
dianus iudiciorum usus
, §. 6. I. de Satisdat
. und solitus
iudiciorum ordo
L. 4. C. de Sent. et interloc. omn. iu-
dic
. angedeutet.
O 5

de Iuſtitia et Iure.
achtet hat; ſo kann wohl dieſe nicht als ein Theil der
Uſualinterpretation, ſondern leztere vielmehr als ein
Theil der erſtern angeſehen werden. Denn die gericht-
liche Obſervanz betrift entweder blos die Procesform,
d. i. die Art und Weiſe, ſein Recht vor Gericht zu
verfolgen; oder das Recht ſelbſt; und in dieſem leztern
Falle kann ſelbige entweder die Auslegung eines zwei-
felhaften Geſetzes, oder die Entſcheidung eines geſezlich
nicht entſchiedenen Rechtsfalls, die man in den Gerich-
ten angenommen und zeither befolgt hat, zum Vorwurf
haben. Solche Erfahrungen, die von klugen und auf-
geklaͤrten Richtern in der Rechtspflege geſammlet wor-
den ſind, koͤnnen unſtreitig zu Beurtheilung vorkom-
mender Rechtshaͤndel ſichere und gewiſſe Beſtimmungen
darreichen, und haben deſto groͤſern Werth, je weniger
oftmals die allgemeinen Geſetze und Verordnungen einem
Richter und Advocaten befriedigende Auskunft erthei-
len 76). Sie nehmen alsdann, durch die ſtillſchwei-
gende Genehmigung des Landesherrn und die Laͤnge der
Zeit unterſtuͤzt, das Gepraͤge eines Gewohnheitsrechts
an, und verdienen nach den ſchriftlich gegebenen Geſe-
tzen den vorzuͤglichſten Rang 77). Bloſe Urtheile und

Ent-
76) Hymmens Beytraͤge zur neueſten juriſtiſchen
Litteratur in den Preußiſchen Staaten
1. Samm-
lung S. 1. ff.
77) Hierher gehoͤrt die Stelle des Calliſtratus in L. 38.
D. de LL
. In ambiguitatibus, quae ex Legibus profi-
ciſcuntur, conſuetudinem, aut rerum perpetuo ſimiliter
iudicatarum auctoritatem, vim legis
obtinere debere
.
In den roͤmiſchen Geſetzen wird dieſer Gerichtsgebrauch
durch die Ausdruͤcke ius iudiciorum L. 3. C. de dot. pro-
miſſ. mos legum uſitatus, L. 32. C. de Transact. quoti-
dianus iudiciorum uſus
, §. 6. I. de Satisdat
. und ſolitus
iudiciorum ordo
L. 4. C. de Sent. et interloc. omn. iu-
dic
. angedeutet.
O 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0237" n="217"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">de Iu&#x017F;titia et Iure.</hi></fw><lb/>
achtet hat; &#x017F;o kann wohl die&#x017F;e nicht als ein Theil der<lb/>
U&#x017F;ualinterpretation, &#x017F;ondern leztere vielmehr als ein<lb/>
Theil der er&#x017F;tern ange&#x017F;ehen werden. Denn die gericht-<lb/>
liche Ob&#x017F;ervanz betrift entweder blos die Procesform,<lb/>
d. i. die Art und Wei&#x017F;e, &#x017F;ein Recht vor Gericht zu<lb/>
verfolgen; oder das Recht &#x017F;elb&#x017F;t; und in die&#x017F;em leztern<lb/>
Falle kann &#x017F;elbige entweder die Auslegung eines zwei-<lb/>
felhaften Ge&#x017F;etzes, oder die Ent&#x017F;cheidung eines ge&#x017F;ezlich<lb/>
nicht ent&#x017F;chiedenen Rechtsfalls, die man in den Gerich-<lb/>
ten angenommen und zeither befolgt hat, zum Vorwurf<lb/>
haben. Solche Erfahrungen, die von klugen und auf-<lb/>
gekla&#x0364;rten Richtern in der Rechtspflege ge&#x017F;ammlet wor-<lb/>
den &#x017F;ind, ko&#x0364;nnen un&#x017F;treitig zu Beurtheilung vorkom-<lb/>
mender Rechtsha&#x0364;ndel &#x017F;ichere und gewi&#x017F;&#x017F;e Be&#x017F;timmungen<lb/>
darreichen, und haben de&#x017F;to gro&#x0364;&#x017F;ern Werth, je weniger<lb/>
oftmals die allgemeinen Ge&#x017F;etze und Verordnungen einem<lb/>
Richter und Advocaten befriedigende Auskunft erthei-<lb/>
len <note place="foot" n="76)">Hymmens <hi rendition="#g">Beytra&#x0364;ge zur neue&#x017F;ten juri&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Litteratur in den Preußi&#x017F;chen Staaten</hi> 1. Samm-<lb/>
lung S. 1. ff.</note>. Sie nehmen alsdann, durch die &#x017F;till&#x017F;chwei-<lb/>
gende Genehmigung des Landesherrn und die La&#x0364;nge der<lb/>
Zeit unter&#x017F;tu&#x0364;zt, das Gepra&#x0364;ge eines Gewohnheitsrechts<lb/>
an, und verdienen nach den &#x017F;chriftlich gegebenen Ge&#x017F;e-<lb/>
tzen den vorzu&#x0364;glich&#x017F;ten Rang <note place="foot" n="77)">Hierher geho&#x0364;rt die Stelle des Calli&#x017F;tratus <hi rendition="#aq">in <hi rendition="#i">L. 38.<lb/>
D. de LL</hi>. In <hi rendition="#i">ambiguitatibus</hi>, quae ex <hi rendition="#i">Legibus</hi> profi-<lb/>
ci&#x017F;cuntur, <hi rendition="#i">con&#x017F;uetudinem, aut rerum perpetuo &#x017F;imiliter<lb/>
iudicatarum auctoritatem, vim legis</hi> obtinere debere</hi>.<lb/>
In den ro&#x0364;mi&#x017F;chen Ge&#x017F;etzen wird die&#x017F;er Gerichtsgebrauch<lb/>
durch die Ausdru&#x0364;cke <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">ius iudiciorum</hi> L. 3. C. de dot. pro-<lb/>
mi&#x017F;&#x017F;. <hi rendition="#i">mos legum u&#x017F;itatus</hi>, L. 32. C. de Transact. <hi rendition="#i">quoti-<lb/>
dianus iudiciorum u&#x017F;us</hi>, §. 6. I. de Satisdat</hi>. und <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">&#x017F;olitus<lb/>
iudiciorum ordo</hi> L. 4. C. de Sent. et interloc. omn. iu-<lb/>
dic</hi>. angedeutet.</note>. Blo&#x017F;e Urtheile und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Ent-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0237] de Iuſtitia et Iure. achtet hat; ſo kann wohl dieſe nicht als ein Theil der Uſualinterpretation, ſondern leztere vielmehr als ein Theil der erſtern angeſehen werden. Denn die gericht- liche Obſervanz betrift entweder blos die Procesform, d. i. die Art und Weiſe, ſein Recht vor Gericht zu verfolgen; oder das Recht ſelbſt; und in dieſem leztern Falle kann ſelbige entweder die Auslegung eines zwei- felhaften Geſetzes, oder die Entſcheidung eines geſezlich nicht entſchiedenen Rechtsfalls, die man in den Gerich- ten angenommen und zeither befolgt hat, zum Vorwurf haben. Solche Erfahrungen, die von klugen und auf- geklaͤrten Richtern in der Rechtspflege geſammlet wor- den ſind, koͤnnen unſtreitig zu Beurtheilung vorkom- mender Rechtshaͤndel ſichere und gewiſſe Beſtimmungen darreichen, und haben deſto groͤſern Werth, je weniger oftmals die allgemeinen Geſetze und Verordnungen einem Richter und Advocaten befriedigende Auskunft erthei- len 76). Sie nehmen alsdann, durch die ſtillſchwei- gende Genehmigung des Landesherrn und die Laͤnge der Zeit unterſtuͤzt, das Gepraͤge eines Gewohnheitsrechts an, und verdienen nach den ſchriftlich gegebenen Geſe- tzen den vorzuͤglichſten Rang 77). Bloſe Urtheile und Ent- 76) Hymmens Beytraͤge zur neueſten juriſtiſchen Litteratur in den Preußiſchen Staaten 1. Samm- lung S. 1. ff. 77) Hierher gehoͤrt die Stelle des Calliſtratus in L. 38. D. de LL. In ambiguitatibus, quae ex Legibus profi- ciſcuntur, conſuetudinem, aut rerum perpetuo ſimiliter iudicatarum auctoritatem, vim legis obtinere debere. In den roͤmiſchen Geſetzen wird dieſer Gerichtsgebrauch durch die Ausdruͤcke ius iudiciorum L. 3. C. de dot. pro- miſſ. mos legum uſitatus, L. 32. C. de Transact. quoti- dianus iudiciorum uſus, §. 6. I. de Satisdat. und ſolitus iudiciorum ordo L. 4. C. de Sent. et interloc. omn. iu- dic. angedeutet. O 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/237
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/237>, abgerufen am 26.04.2024.