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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 4. Tit.

II) die Decreta Principum anbelangt, so haben sol-
che bey den Römern nicht immer einerley Wirkung ge-
habt. Denn vor Justinians Zeiten machten dieselben in
der Regel nur ein Recht unter den streitenden Partheyen,
wenn nicht die Kaisere ausdrücklich erklärt hatten, daß
solche auch in ähnlichen Fällen zur Entscheidung dienen
sollten. Hieraus lässet sich erklären, warum die römi-
schen Rechtsgelehrten die kaiserlichen Decrete nur immer
illustrationis caussa und zuletzt anzuführen pflegten, wenn
sie ihren Satz oder Meinung schon genugsam durch an-
dere, manchmal sehr weit und mühsam herbeygeholte
Gründe unterstützt zu haben glaubten 62). Ja wir fin-
den Beyspiele in den Pandecten, daß zuweilen die römi-
schen Rechtsgelehrten Meinungen gehegt haben, die den
ausdrücklichen kaiserlichen Decreten entgegen waren, und
zwar mit den Effect, daß man selbst in den Gerichten je-
ne Meinungen denen Decreten der Kaiser vorgezogen
hat 63). Selbst die römischen Kaiser vor Justinian woll-
ten nicht, daß ihre Decrete als allgemeine Gesetze gelten
sollten. Hiervon überzeugt uns die bekannte Verordnung
der Kaiser Theodosius und Valentinian 64), in
welcher es heißt: Quae ex relationibus vel suggestio-

nibus
sae a nobis ad venerabilem Coetum oratione conduntur, vel
inserto edicti vocabulo nuncupantur
; sive eas spontaneus mo-
tus ingesserit, sive precatio, sive relatio, vel lis mota legis
occasionem postulaverit.
62) L. 2. D. de offic. Assessor. L. 3. §. 5. D. de liber. exhib.
L.
13. §. ult. D. de Excusat.
63) L. 28. D. de inoff. testam. L. 1. §. 14. D. ad Leg. Falcid.
64) L. 2. Cod. de Legib. et Constitut. Princip. et Edict. Man
vergleiche hier vorzüglich des H. Dir. zepernick Diatr. de
iudicat. centumviral. §. XX.
u. folgg.
1. Buch. 4. Tit.

II) die Decreta Principum anbelangt, ſo haben ſol-
che bey den Roͤmern nicht immer einerley Wirkung ge-
habt. Denn vor Juſtinians Zeiten machten dieſelben in
der Regel nur ein Recht unter den ſtreitenden Partheyen,
wenn nicht die Kaiſere ausdruͤcklich erklaͤrt hatten, daß
ſolche auch in aͤhnlichen Faͤllen zur Entſcheidung dienen
ſollten. Hieraus laͤſſet ſich erklaͤren, warum die roͤmi-
ſchen Rechtsgelehrten die kaiſerlichen Decrete nur immer
illuſtrationis cauſſa und zuletzt anzufuͤhren pflegten, wenn
ſie ihren Satz oder Meinung ſchon genugſam durch an-
dere, manchmal ſehr weit und muͤhſam herbeygeholte
Gruͤnde unterſtuͤtzt zu haben glaubten 62). Ja wir fin-
den Beyſpiele in den Pandecten, daß zuweilen die roͤmi-
ſchen Rechtsgelehrten Meinungen gehegt haben, die den
ausdruͤcklichen kaiſerlichen Decreten entgegen waren, und
zwar mit den Effect, daß man ſelbſt in den Gerichten je-
ne Meinungen denen Decreten der Kaiſer vorgezogen
hat 63). Selbſt die roͤmiſchen Kaiſer vor Juſtinian woll-
ten nicht, daß ihre Decrete als allgemeine Geſetze gelten
ſollten. Hiervon uͤberzeugt uns die bekannte Verordnung
der Kaiſer Theodoſius und Valentinian 64), in
welcher es heißt: Quae ex relationibus vel ſuggeſtio-

nibus
ſae a nobis ad venerabilem Coetum oratione conduntur, vel
inſerto edicti vocabulo nuncupantur
; ſive eas ſpontaneus mo-
tus ingeſſerit, ſive precatio, ſive relatio, vel lis mota legis
occaſionem poſtulaverit.
62) L. 2. D. de offic. Aſſeſſor. L. 3. §. 5. D. de liber. exhib.
L.
13. §. ult. D. de Excuſat.
63) L. 28. D. de inoff. teſtam. L. 1. §. 14. D. ad Leg. Falcid.
64) L. 2. Cod. de Legib. et Conſtitut. Princip. et Edict. Man
vergleiche hier vorzuͤglich des H. Dir. zepernick Diatr. de
iudicat. centumviral. §. XX.
u. folgg.
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[518/0538] 1. Buch. 4. Tit. II) die Decreta Principum anbelangt, ſo haben ſol- che bey den Roͤmern nicht immer einerley Wirkung ge- habt. Denn vor Juſtinians Zeiten machten dieſelben in der Regel nur ein Recht unter den ſtreitenden Partheyen, wenn nicht die Kaiſere ausdruͤcklich erklaͤrt hatten, daß ſolche auch in aͤhnlichen Faͤllen zur Entſcheidung dienen ſollten. Hieraus laͤſſet ſich erklaͤren, warum die roͤmi- ſchen Rechtsgelehrten die kaiſerlichen Decrete nur immer illuſtrationis cauſſa und zuletzt anzufuͤhren pflegten, wenn ſie ihren Satz oder Meinung ſchon genugſam durch an- dere, manchmal ſehr weit und muͤhſam herbeygeholte Gruͤnde unterſtuͤtzt zu haben glaubten 62). Ja wir fin- den Beyſpiele in den Pandecten, daß zuweilen die roͤmi- ſchen Rechtsgelehrten Meinungen gehegt haben, die den ausdruͤcklichen kaiſerlichen Decreten entgegen waren, und zwar mit den Effect, daß man ſelbſt in den Gerichten je- ne Meinungen denen Decreten der Kaiſer vorgezogen hat 63). Selbſt die roͤmiſchen Kaiſer vor Juſtinian woll- ten nicht, daß ihre Decrete als allgemeine Geſetze gelten ſollten. Hiervon uͤberzeugt uns die bekannte Verordnung der Kaiſer Theodoſius und Valentinian 64), in welcher es heißt: Quae ex relationibus vel ſuggeſtio- nibus 61) 62) L. 2. D. de offic. Aſſeſſor. L. 3. §. 5. D. de liber. exhib. L. 13. §. ult. D. de Excuſat. 63) L. 28. D. de inoff. teſtam. L. 1. §. 14. D. ad Leg. Falcid. 64) L. 2. Cod. de Legib. et Conſtitut. Princip. et Edict. Man vergleiche hier vorzuͤglich des H. Dir. zepernick Diatr. de iudicat. centumviral. §. XX. u. folgg. 61) ſae a nobis ad venerabilem Coetum oratione conduntur, vel inſerto edicti vocabulo nuncupantur; ſive eas ſpontaneus mo- tus ingeſſerit, ſive precatio, ſive relatio, vel lis mota legis occaſionem poſtulaverit.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/538>, abgerufen am 26.04.2024.