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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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Die Schriften, von welchen hier die Rede ist, begrei-
fen weniger nicht als die ganze eigentliche Masse des
Volkes in ihrem Wirkungskreis. Nach keiner Seite hin
hat die Literatur einen größeren Umfang und eine allge-
meinere Verbreitung gewonnen, als indem sie über-
tretend aus dem geschlossenen Kreise der höheren Stände,
durchbrach zu den untern Classen, unter ihnen wohnte,
mit dem Volke selbst zum Volke, Fleisch von seinem
Fleisch, und Leben von seinem Leben wurde. Wie
Halm an Halm auf dem Felde in die Höhe steigt, wie
Gräser sich an Gräser drängen, wie unter der Erde
Wurzel mit Wurzel sich verflicht, und die Natur einsilbig
aber unermüdet immer dasselbe dort, aber immer ein
Anderes sagt, so thut auch der Geist in diesen Werken.
Wie sehen wir nicht jedes Jahr in der höheren Literatur
die Geburten des Augenblicks wie Saturn seine Kinder
verschlingen, aber diese Bücher leben ein unsterblich
unverwüstlich Leben; viele Jahrhunderte hindurch haben
sie Hunderttausende, ein ungemessenes Publikum,

1.

Die Schriften, von welchen hier die Rede iſt, begrei-
fen weniger nicht als die ganze eigentliche Maſſe des
Volkes in ihrem Wirkungskreis. Nach keiner Seite hin
hat die Literatur einen größeren Umfang und eine allge-
meinere Verbreitung gewonnen, als indem ſie über-
tretend aus dem geſchloſſenen Kreiſe der höheren Stände,
durchbrach zu den untern Claſſen, unter ihnen wohnte,
mit dem Volke ſelbſt zum Volke, Fleiſch von ſeinem
Fleiſch, und Leben von ſeinem Leben wurde. Wie
Halm an Halm auf dem Felde in die Höhe ſteigt, wie
Gräſer ſich an Gräſer drängen, wie unter der Erde
Wurzel mit Wurzel ſich verflicht, und die Natur einſilbig
aber unermüdet immer daſſelbe dort, aber immer ein
Anderes ſagt, ſo thut auch der Geiſt in dieſen Werken.
Wie ſehen wir nicht jedes Jahr in der höheren Literatur
die Geburten des Augenblicks wie Saturn ſeine Kinder
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unverwüſtlich Leben; viele Jahrhunderte hindurch haben
ſie Hunderttauſende, ein ungemeſſenes Publikum,

1.
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[[1]/0019] Die Schriften, von welchen hier die Rede iſt, begrei- fen weniger nicht als die ganze eigentliche Maſſe des Volkes in ihrem Wirkungskreis. Nach keiner Seite hin hat die Literatur einen größeren Umfang und eine allge- meinere Verbreitung gewonnen, als indem ſie über- tretend aus dem geſchloſſenen Kreiſe der höheren Stände, durchbrach zu den untern Claſſen, unter ihnen wohnte, mit dem Volke ſelbſt zum Volke, Fleiſch von ſeinem Fleiſch, und Leben von ſeinem Leben wurde. Wie Halm an Halm auf dem Felde in die Höhe ſteigt, wie Gräſer ſich an Gräſer drängen, wie unter der Erde Wurzel mit Wurzel ſich verflicht, und die Natur einſilbig aber unermüdet immer daſſelbe dort, aber immer ein Anderes ſagt, ſo thut auch der Geiſt in dieſen Werken. Wie ſehen wir nicht jedes Jahr in der höheren Literatur die Geburten des Augenblicks wie Saturn ſeine Kinder verſchlingen, aber dieſe Bücher leben ein unſterblich unverwüſtlich Leben; viele Jahrhunderte hindurch haben ſie Hunderttauſende, ein ungemeſſenes Publikum, 1.

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/19>, abgerufen am 27.04.2024.