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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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Ein Kaiser hatte zwey Cassire,
Einen zum Nehmen, einen zum Spenden;
Diesem fiel's nur so aus den Händen,
Jener wusste nicht woher zu nehmen.
Der Spendende starb, der Herrscher wusste nicht
gleich,
Wem das Geber-Amt sey anzuvertrauen,
Und wie man kaum thät um sich schauen,
So war der Nehmer unendlich reich,
Man wusste kaum vor Gold zu leben,
Weil man Einen Tag nichts ausgegeben.
Da ward nun erst dem Kaiser klar
Was Schuld an allem Unheil war.
Den Zufall wusst' er wohl zu schätzen
Nie wieder die Stelle zu besetzen.


14 *

Ein Kaiser hatte zwey Cassire,
Einen zum Nehmen, einen zum Spenden;
Diesem fiel’s nur so aus den Händen,
Jener wuſste nicht woher zu nehmen.
Der Spendende starb, der Herrscher wuſste nicht
gleich,
Wem das Geber-Amt sey anzuvertrauen,
Und wie man kaum thät um sich schauen,
So war der Nehmer unendlich reich,
Man wuſste kaum vor Gold zu leben,
Weil man Einen Tag nichts ausgegeben.
Da ward nun erst dem Kaiser klar
Was Schuld an allem Unheil war.
Den Zufall wuſst’ er wohl zu schätzen
Nie wieder die Stelle zu besetzen.


14 *
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[211/0221] Ein Kaiser hatte zwey Cassire, Einen zum Nehmen, einen zum Spenden; Diesem fiel’s nur so aus den Händen, Jener wuſste nicht woher zu nehmen. Der Spendende starb, der Herrscher wuſste nicht gleich, Wem das Geber-Amt sey anzuvertrauen, Und wie man kaum thät um sich schauen, So war der Nehmer unendlich reich, Man wuſste kaum vor Gold zu leben, Weil man Einen Tag nichts ausgegeben. Da ward nun erst dem Kaiser klar Was Schuld an allem Unheil war. Den Zufall wuſst’ er wohl zu schätzen Nie wieder die Stelle zu besetzen. 14 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/221>, abgerufen am 26.04.2024.