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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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Organ und dem gesehenen Gegenstand müsse zu ziehen
seyn. Kommt also der Fall, daß das Licht zu uns in
einer gebogenen oder gebrochenen Linie anlangt, daß
wir die Gegenstände in einer gebogenen oder gebroche-
nen Linie sehen; so werden wir alsbald erinnert, daß
die dazwischen liegenden Mittel sich verdichtet, daß sie
diese oder jene fremde Natur angenommen haben.

186.

Diese Abweichung vom Gesetz des geradlinigen Se-
hens wird im Allgemeinen die Refraction genannt, und
ob wir gleich voraussetzen können, daß unsre Leser da-
mit bekannt sind; so wollen wir sie doch kürzlich von
ihrer objectiven und subjectiven Seite hier nochmals
darstellen.

187.

Man lasse in ein leeres kubisches Gefäß das Son-
nenlicht schräg in der Diagonale hineinscheinen, derge-
stalt daß nur die dem Licht entgegengesetzte Wand, nicht
aber der Boden erleuchtet sey; man gieße sodann Was-
ser in dieses Gefäß und der Bezug des Lichtes zu dem-
selben wird sogleich verändert seyn. Das Licht zieht
sich gegen die Seite, wo es herkommt, zurück, und ein
Theil des Bodens wird gleichfalls erleuchtet. An dem
Puncte, wo nunmehr das Licht in das dichtere Mittel
tritt, weicht es von seiner geradlinigen Richtung ab
und scheint gebrochen, deswegen man auch dieses Phä-
nomen die Brechung genannt hat. So viel von dem
objectiven Versuche.

Organ und dem geſehenen Gegenſtand muͤſſe zu ziehen
ſeyn. Kommt alſo der Fall, daß das Licht zu uns in
einer gebogenen oder gebrochenen Linie anlangt, daß
wir die Gegenſtaͤnde in einer gebogenen oder gebroche-
nen Linie ſehen; ſo werden wir alsbald erinnert, daß
die dazwiſchen liegenden Mittel ſich verdichtet, daß ſie
dieſe oder jene fremde Natur angenommen haben.

186.

Dieſe Abweichung vom Geſetz des geradlinigen Se-
hens wird im Allgemeinen die Refraction genannt, und
ob wir gleich vorausſetzen koͤnnen, daß unſre Leſer da-
mit bekannt ſind; ſo wollen wir ſie doch kuͤrzlich von
ihrer objectiven und ſubjectiven Seite hier nochmals
darſtellen.

187.

Man laſſe in ein leeres kubiſches Gefaͤß das Son-
nenlicht ſchraͤg in der Diagonale hineinſcheinen, derge-
ſtalt daß nur die dem Licht entgegengeſetzte Wand, nicht
aber der Boden erleuchtet ſey; man gieße ſodann Waſ-
ſer in dieſes Gefaͤß und der Bezug des Lichtes zu dem-
ſelben wird ſogleich veraͤndert ſeyn. Das Licht zieht
ſich gegen die Seite, wo es herkommt, zuruͤck, und ein
Theil des Bodens wird gleichfalls erleuchtet. An dem
Puncte, wo nunmehr das Licht in das dichtere Mittel
tritt, weicht es von ſeiner geradlinigen Richtung ab
und ſcheint gebrochen, deswegen man auch dieſes Phaͤ-
nomen die Brechung genannt hat. So viel von dem
objectiven Verſuche.

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[71/0125] Organ und dem geſehenen Gegenſtand muͤſſe zu ziehen ſeyn. Kommt alſo der Fall, daß das Licht zu uns in einer gebogenen oder gebrochenen Linie anlangt, daß wir die Gegenſtaͤnde in einer gebogenen oder gebroche- nen Linie ſehen; ſo werden wir alsbald erinnert, daß die dazwiſchen liegenden Mittel ſich verdichtet, daß ſie dieſe oder jene fremde Natur angenommen haben. 186. Dieſe Abweichung vom Geſetz des geradlinigen Se- hens wird im Allgemeinen die Refraction genannt, und ob wir gleich vorausſetzen koͤnnen, daß unſre Leſer da- mit bekannt ſind; ſo wollen wir ſie doch kuͤrzlich von ihrer objectiven und ſubjectiven Seite hier nochmals darſtellen. 187. Man laſſe in ein leeres kubiſches Gefaͤß das Son- nenlicht ſchraͤg in der Diagonale hineinſcheinen, derge- ſtalt daß nur die dem Licht entgegengeſetzte Wand, nicht aber der Boden erleuchtet ſey; man gieße ſodann Waſ- ſer in dieſes Gefaͤß und der Bezug des Lichtes zu dem- ſelben wird ſogleich veraͤndert ſeyn. Das Licht zieht ſich gegen die Seite, wo es herkommt, zuruͤck, und ein Theil des Bodens wird gleichfalls erleuchtet. An dem Puncte, wo nunmehr das Licht in das dichtere Mittel tritt, weicht es von ſeiner geradlinigen Richtung ab und ſcheint gebrochen, deswegen man auch dieſes Phaͤ- nomen die Brechung genannt hat. So viel von dem objectiven Verſuche.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/125>, abgerufen am 27.04.2024.