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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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705.

Als Pigment entsteht er nicht durch Mischung oder
Vereinigung; sondern durch Fixirung einer Körperlich-
keit auf dem hohen culminirenden Farbenpuncte. Da-
her der Maler Ursache hat, drey Grundfarben anzuneh-
men, indem er aus diesen die übrigen sämmtlich zu-
sammensetzt. Der Physiker hingegen nimmt nur zwey
Grundfarben an, aus denen er die übrigen entwickelt
und zusammensetzt.


Vollständigkeit der mannigfalti-
gen Erscheinung
.

706.

Die mannigfaltigen Erscheinungen auf ihren ver-
schiedenen Stufen fixirt und neben einander betrachtet
bringen Totalität hervor. Diese Totalität ist Harmonie
fürs Auge.

707.

Der Farbenkreis ist vor unsern Augen entstanden,
die mannigfaltigen Verhältnisse des Werdens sind uns
deutlich. Zwey reine ursprüngliche Gegensätze sind das
Fundament des Ganzen. Es zeigt sich sodann eine
Steigerung, wodurch sie sich beyde einem dritten nä-
hern; dadurch entsteht auf jeder Seite ein Tiefstes und
ein Höchstes, ein Einfachstes und Bedingtestes, ein

705.

Als Pigment entſteht er nicht durch Miſchung oder
Vereinigung; ſondern durch Fixirung einer Koͤrperlich-
keit auf dem hohen culminirenden Farbenpuncte. Da-
her der Maler Urſache hat, drey Grundfarben anzuneh-
men, indem er aus dieſen die uͤbrigen ſaͤmmtlich zu-
ſammenſetzt. Der Phyſiker hingegen nimmt nur zwey
Grundfarben an, aus denen er die uͤbrigen entwickelt
und zuſammenſetzt.


Vollſtaͤndigkeit der mannigfalti-
gen Erſcheinung
.

706.

Die mannigfaltigen Erſcheinungen auf ihren ver-
ſchiedenen Stufen fixirt und neben einander betrachtet
bringen Totalitaͤt hervor. Dieſe Totalitaͤt iſt Harmonie
fuͤrs Auge.

707.

Der Farbenkreis iſt vor unſern Augen entſtanden,
die mannigfaltigen Verhaͤltniſſe des Werdens ſind uns
deutlich. Zwey reine urſpruͤngliche Gegenſaͤtze ſind das
Fundament des Ganzen. Es zeigt ſich ſodann eine
Steigerung, wodurch ſie ſich beyde einem dritten naͤ-
hern; dadurch entſteht auf jeder Seite ein Tiefſtes und
ein Hoͤchſtes, ein Einfachſtes und Bedingteſtes, ein

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[262/0316] 705. Als Pigment entſteht er nicht durch Miſchung oder Vereinigung; ſondern durch Fixirung einer Koͤrperlich- keit auf dem hohen culminirenden Farbenpuncte. Da- her der Maler Urſache hat, drey Grundfarben anzuneh- men, indem er aus dieſen die uͤbrigen ſaͤmmtlich zu- ſammenſetzt. Der Phyſiker hingegen nimmt nur zwey Grundfarben an, aus denen er die uͤbrigen entwickelt und zuſammenſetzt. Vollſtaͤndigkeit der mannigfalti- gen Erſcheinung. 706. Die mannigfaltigen Erſcheinungen auf ihren ver- ſchiedenen Stufen fixirt und neben einander betrachtet bringen Totalitaͤt hervor. Dieſe Totalitaͤt iſt Harmonie fuͤrs Auge. 707. Der Farbenkreis iſt vor unſern Augen entſtanden, die mannigfaltigen Verhaͤltniſſe des Werdens ſind uns deutlich. Zwey reine urſpruͤngliche Gegenſaͤtze ſind das Fundament des Ganzen. Es zeigt ſich ſodann eine Steigerung, wodurch ſie ſich beyde einem dritten naͤ- hern; dadurch entſteht auf jeder Seite ein Tiefſtes und ein Hoͤchſtes, ein Einfachſtes und Bedingteſtes, ein

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/316>, abgerufen am 26.04.2024.