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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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Blauen zum Rothen, aus der Verknüpfung dieser
beyden höheren Enden zum Purpur, aus der Ver-
mischung der beyden niedern Enden zum Grün ent-
steht. Welch ein ungleich mannigfaltigeres Schema
entspringt hier nicht, als dasjenige ist, worin sich
Magnetismus und Electricität begreifen lassen. Auch
stehen diese letzteren Erscheinungen auf einer niedern
Stufe, so daß sie zwar die allgemeine Welt durch-
dringen und beleben, sich aber zum Menschen im hö-
heren Sinne nicht heraufbegeben können, um von
ihm ästhetisch benutzt zu werden. Das allgemeine ein-
fache physische Schema muß erst in sich selbst erhöht
und vermannigfaltigt werden, um zu höheren Zwecken
zu dienen.

746.

Man rufe in diesem Sinne zurück, was durch-
aus von uns bisher sowohl im Allgemeinen als Beson-
dern von der Farbe prädicirt worden, und man wird
sich selbst dasjenige, was hier nur leicht angedeutet ist,
ausführen und entwickeln. Man wird dem Wissen,
der Wissenschaft, dem Handwerk und der Kunst Glück
wünschen, wenn es möglich wäre, das schöne Kapi-
tel der Farbenlehre aus seiner atomistischen Beschränkt-
heit und Abgesondertheit, in die es bisher verwiesen,
dem allgemeinen dynamischen Flusse des Lebens und
Wirkens wieder zu geben, dessen sich die jetzige Zeit
erfreut. Diese Empfindungen werden bey uns noch leb-
hafter werden, wenn uns die Geschichte so manchen wak-
kern und einsichtsvollen Mann vorführen wird, dem

Blauen zum Rothen, aus der Verknuͤpfung dieſer
beyden hoͤheren Enden zum Purpur, aus der Ver-
miſchung der beyden niedern Enden zum Gruͤn ent-
ſteht. Welch ein ungleich mannigfaltigeres Schema
entſpringt hier nicht, als dasjenige iſt, worin ſich
Magnetismus und Electricitaͤt begreifen laſſen. Auch
ſtehen dieſe letzteren Erſcheinungen auf einer niedern
Stufe, ſo daß ſie zwar die allgemeine Welt durch-
dringen und beleben, ſich aber zum Menſchen im hoͤ-
heren Sinne nicht heraufbegeben koͤnnen, um von
ihm aͤſthetiſch benutzt zu werden. Das allgemeine ein-
fache phyſiſche Schema muß erſt in ſich ſelbſt erhoͤht
und vermannigfaltigt werden, um zu hoͤheren Zwecken
zu dienen.

746.

Man rufe in dieſem Sinne zuruͤck, was durch-
aus von uns bisher ſowohl im Allgemeinen als Beſon-
dern von der Farbe praͤdicirt worden, und man wird
ſich ſelbſt dasjenige, was hier nur leicht angedeutet iſt,
ausfuͤhren und entwickeln. Man wird dem Wiſſen,
der Wiſſenſchaft, dem Handwerk und der Kunſt Gluͤck
wuͤnſchen, wenn es moͤglich waͤre, das ſchoͤne Kapi-
tel der Farbenlehre aus ſeiner atomiſtiſchen Beſchraͤnkt-
heit und Abgeſondertheit, in die es bisher verwieſen,
dem allgemeinen dynamiſchen Fluſſe des Lebens und
Wirkens wieder zu geben, deſſen ſich die jetzige Zeit
erfreut. Dieſe Empfindungen werden bey uns noch leb-
hafter werden, wenn uns die Geſchichte ſo manchen wak-
kern und einſichtsvollen Mann vorfuͤhren wird, dem

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[280/0334] Blauen zum Rothen, aus der Verknuͤpfung dieſer beyden hoͤheren Enden zum Purpur, aus der Ver- miſchung der beyden niedern Enden zum Gruͤn ent- ſteht. Welch ein ungleich mannigfaltigeres Schema entſpringt hier nicht, als dasjenige iſt, worin ſich Magnetismus und Electricitaͤt begreifen laſſen. Auch ſtehen dieſe letzteren Erſcheinungen auf einer niedern Stufe, ſo daß ſie zwar die allgemeine Welt durch- dringen und beleben, ſich aber zum Menſchen im hoͤ- heren Sinne nicht heraufbegeben koͤnnen, um von ihm aͤſthetiſch benutzt zu werden. Das allgemeine ein- fache phyſiſche Schema muß erſt in ſich ſelbſt erhoͤht und vermannigfaltigt werden, um zu hoͤheren Zwecken zu dienen. 746. Man rufe in dieſem Sinne zuruͤck, was durch- aus von uns bisher ſowohl im Allgemeinen als Beſon- dern von der Farbe praͤdicirt worden, und man wird ſich ſelbſt dasjenige, was hier nur leicht angedeutet iſt, ausfuͤhren und entwickeln. Man wird dem Wiſſen, der Wiſſenſchaft, dem Handwerk und der Kunſt Gluͤck wuͤnſchen, wenn es moͤglich waͤre, das ſchoͤne Kapi- tel der Farbenlehre aus ſeiner atomiſtiſchen Beſchraͤnkt- heit und Abgeſondertheit, in die es bisher verwieſen, dem allgemeinen dynamiſchen Fluſſe des Lebens und Wirkens wieder zu geben, deſſen ſich die jetzige Zeit erfreut. Dieſe Empfindungen werden bey uns noch leb- hafter werden, wenn uns die Geſchichte ſo manchen wak- kern und einſichtsvollen Mann vorfuͤhren wird, dem

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/334>, abgerufen am 26.04.2024.