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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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759.

Die Menschen empfinden im Allgemeinen eine große
Freude an der Farbe. Das Auge bedarf ihrer, wie
es des Lichtes bedarf. Man erinnre sich der Erquik-
kung, wenn an einem trüben Tage die Sonne auf
einen einzelnen Theil der Gegend scheint und die Far-
ben daselbst sichtbar macht. Daß man den farbigen
Edelsteinen Heilkräfte zuschrieb, mag aus dem tiefen
Gefühl dieses unaussprechlichen Behagens entstanden
seyn.

760.

Die Farben, die wir an den Körpern erblicken,
sind nicht etwa dem Auge ein völlig Fremdes, wo-
durch es erst zu dieser Empfindung gleichsam gestem-
pelt würde; Nein. Dieses Organ ist immer in der
Disposition, selbst Farben hervorzubringen, und genießt
einer angenehmen Empfindung, wenn etwas der eig-
nen Natur gemäßes ihm von außen gebracht wird;
wenn seine Bestimmbarkeit nach einer gewissen Seite
hin bedeutend bestimmt wird.

761.

Aus der Idee des Gegensatzes der Erscheinung,
aus der Kenntniß, die wir von den besondern Bestim-
mungen desselben erlangt haben, können wir schließen,
daß die einzelnen Farbeindrücke nicht verwechselt wer-
den können, daß sie specifiisch wirken, und entschie-
den specifische Zustände in dem lebendigen Organ her-
vorbringen müssen.

759.

Die Menſchen empfinden im Allgemeinen eine große
Freude an der Farbe. Das Auge bedarf ihrer, wie
es des Lichtes bedarf. Man erinnre ſich der Erquik-
kung, wenn an einem truͤben Tage die Sonne auf
einen einzelnen Theil der Gegend ſcheint und die Far-
ben daſelbſt ſichtbar macht. Daß man den farbigen
Edelſteinen Heilkraͤfte zuſchrieb, mag aus dem tiefen
Gefuͤhl dieſes unausſprechlichen Behagens entſtanden
ſeyn.

760.

Die Farben, die wir an den Koͤrpern erblicken,
ſind nicht etwa dem Auge ein voͤllig Fremdes, wo-
durch es erſt zu dieſer Empfindung gleichſam geſtem-
pelt wuͤrde; Nein. Dieſes Organ iſt immer in der
Diſpoſition, ſelbſt Farben hervorzubringen, und genießt
einer angenehmen Empfindung, wenn etwas der eig-
nen Natur gemaͤßes ihm von außen gebracht wird;
wenn ſeine Beſtimmbarkeit nach einer gewiſſen Seite
hin bedeutend beſtimmt wird.

761.

Aus der Idee des Gegenſatzes der Erſcheinung,
aus der Kenntniß, die wir von den beſondern Beſtim-
mungen deſſelben erlangt haben, koͤnnen wir ſchließen,
daß die einzelnen Farbeindruͤcke nicht verwechſelt wer-
den koͤnnen, daß ſie ſpecifiiſch wirken, und entſchie-
den ſpecifiſche Zuſtaͤnde in dem lebendigen Organ her-
vorbringen muͤſſen.

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[288/0342] 759. Die Menſchen empfinden im Allgemeinen eine große Freude an der Farbe. Das Auge bedarf ihrer, wie es des Lichtes bedarf. Man erinnre ſich der Erquik- kung, wenn an einem truͤben Tage die Sonne auf einen einzelnen Theil der Gegend ſcheint und die Far- ben daſelbſt ſichtbar macht. Daß man den farbigen Edelſteinen Heilkraͤfte zuſchrieb, mag aus dem tiefen Gefuͤhl dieſes unausſprechlichen Behagens entſtanden ſeyn. 760. Die Farben, die wir an den Koͤrpern erblicken, ſind nicht etwa dem Auge ein voͤllig Fremdes, wo- durch es erſt zu dieſer Empfindung gleichſam geſtem- pelt wuͤrde; Nein. Dieſes Organ iſt immer in der Diſpoſition, ſelbſt Farben hervorzubringen, und genießt einer angenehmen Empfindung, wenn etwas der eig- nen Natur gemaͤßes ihm von außen gebracht wird; wenn ſeine Beſtimmbarkeit nach einer gewiſſen Seite hin bedeutend beſtimmt wird. 761. Aus der Idee des Gegenſatzes der Erſcheinung, aus der Kenntniß, die wir von den beſondern Beſtim- mungen deſſelben erlangt haben, koͤnnen wir ſchließen, daß die einzelnen Farbeindruͤcke nicht verwechſelt wer- den koͤnnen, daß ſie ſpecifiiſch wirken, und entſchie- den ſpecifiſche Zuſtaͤnde in dem lebendigen Organ her- vorbringen muͤſſen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/342>, abgerufen am 26.04.2024.