Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
Totalität und Harmonie.

803.

Wir haben bisher zum Behuf unsres Vortrages
angenommen, daß das Auge genöthigt werden könne,
sich mit irgend einer einzelnen Farbe zu identificiren;
allein dieß möchte wohl nur auf einen Augenblick mög-
lich seyn.

804.

Denn wenn wir uns von einer Farbe umgeben
sehen, welche die Empfindung ihrer Eigenschaft in
unserm Auge erregt und uns durch ihre Gegenwart
nöthigt, mit ihr in einem identischen Zustande zu
verharren; so ist es eine gezwungene Lage, in wel-
cher das Organ ungern verweilt.

805.

Wenn das Auge die Farbe erblickt, so wird es
gleich in Thätigkeit gesetzt, und es ist seiner Natur
gemäß, auf der Stelle eine andre, so unbewußt als
nothwendig, hervorzubringen, welche mit der gege-
benen die Totalität des ganzen Farbenkreises enthält.
Eine einzelne Farbe erregt in dem Auge, durch eine
specifische Empfindung, das Streben nach Allgemein-
heit.

Totalitaͤt und Harmonie.

803.

Wir haben bisher zum Behuf unſres Vortrages
angenommen, daß das Auge genoͤthigt werden koͤnne,
ſich mit irgend einer einzelnen Farbe zu identificiren;
allein dieß moͤchte wohl nur auf einen Augenblick moͤg-
lich ſeyn.

804.

Denn wenn wir uns von einer Farbe umgeben
ſehen, welche die Empfindung ihrer Eigenſchaft in
unſerm Auge erregt und uns durch ihre Gegenwart
noͤthigt, mit ihr in einem identiſchen Zuſtande zu
verharren; ſo iſt es eine gezwungene Lage, in wel-
cher das Organ ungern verweilt.

805.

Wenn das Auge die Farbe erblickt, ſo wird es
gleich in Thaͤtigkeit geſetzt, und es iſt ſeiner Natur
gemaͤß, auf der Stelle eine andre, ſo unbewußt als
nothwendig, hervorzubringen, welche mit der gege-
benen die Totalitaͤt des ganzen Farbenkreiſes enthaͤlt.
Eine einzelne Farbe erregt in dem Auge, durch eine
ſpecifiſche Empfindung, das Streben nach Allgemein-
heit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0355" n="301"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Totalita&#x0364;t und Harmonie</hi>.</hi> </head><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="4">
              <head>803.</head><lb/>
              <p>Wir haben bisher zum Behuf un&#x017F;res Vortrages<lb/>
angenommen, daß das Auge geno&#x0364;thigt werden ko&#x0364;nne,<lb/>
&#x017F;ich mit irgend einer einzelnen Farbe zu identificiren;<lb/>
allein dieß mo&#x0364;chte wohl nur auf einen Augenblick mo&#x0364;g-<lb/>
lich &#x017F;eyn.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>804.</head><lb/>
              <p>Denn wenn wir uns von einer Farbe umgeben<lb/>
&#x017F;ehen, welche die Empfindung ihrer Eigen&#x017F;chaft in<lb/>
un&#x017F;erm Auge erregt und uns durch ihre Gegenwart<lb/>
no&#x0364;thigt, mit ihr in einem identi&#x017F;chen Zu&#x017F;tande zu<lb/>
verharren; &#x017F;o i&#x017F;t es eine gezwungene Lage, in wel-<lb/>
cher das Organ ungern verweilt.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>805.</head><lb/>
              <p>Wenn das Auge die Farbe erblickt, &#x017F;o wird es<lb/>
gleich in Tha&#x0364;tigkeit ge&#x017F;etzt, und es i&#x017F;t &#x017F;einer Natur<lb/>
gema&#x0364;ß, auf der Stelle eine andre, &#x017F;o unbewußt als<lb/>
nothwendig, hervorzubringen, welche mit der gege-<lb/>
benen die Totalita&#x0364;t des ganzen Farbenkrei&#x017F;es entha&#x0364;lt.<lb/>
Eine einzelne Farbe erregt in dem Auge, durch eine<lb/>
&#x017F;pecifi&#x017F;che Empfindung, das Streben nach Allgemein-<lb/>
heit.</p>
            </div><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0355] Totalitaͤt und Harmonie. 803. Wir haben bisher zum Behuf unſres Vortrages angenommen, daß das Auge genoͤthigt werden koͤnne, ſich mit irgend einer einzelnen Farbe zu identificiren; allein dieß moͤchte wohl nur auf einen Augenblick moͤg- lich ſeyn. 804. Denn wenn wir uns von einer Farbe umgeben ſehen, welche die Empfindung ihrer Eigenſchaft in unſerm Auge erregt und uns durch ihre Gegenwart noͤthigt, mit ihr in einem identiſchen Zuſtande zu verharren; ſo iſt es eine gezwungene Lage, in wel- cher das Organ ungern verweilt. 805. Wenn das Auge die Farbe erblickt, ſo wird es gleich in Thaͤtigkeit geſetzt, und es iſt ſeiner Natur gemaͤß, auf der Stelle eine andre, ſo unbewußt als nothwendig, hervorzubringen, welche mit der gege- benen die Totalitaͤt des ganzen Farbenkreiſes enthaͤlt. Eine einzelne Farbe erregt in dem Auge, durch eine ſpecifiſche Empfindung, das Streben nach Allgemein- heit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/355
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/355>, abgerufen am 26.04.2024.