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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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Streben zur Farbe.

862.

Ein Kunstwerk schwarz und weiß kann in der
Malerey selten vorkommen. Einige Arbeiten von Po-
lydor geben uns davon Beyspiele, so wie unsre Kup-
ferstiche und geschabten Blätter. Diese Arten, in so-
fern sie sich mit Formen und Haltung beschäftigen, sind
schätzenswerth; allein sie haben wenig Gefälliges fürs
Auge, indem sie nur durch eine gewaltsame Abstraction
entstehen.

863.

Wenn sich der Künstler seinem Gefühl überläßt, so
meldet sich etwas farbiges gleich. So bald das Schwarze
ins Blauliche fällt, entsteht eine Forderung des Gelben,
das denn der Künstler instinctmäßig vertheilt und theils
rein in den Lichtern, theils geröthet und beschmutzt als
Braun in den Reflexen, zu Belebung des Ganzen an-
bringt, wie es ihm am räthlichsten zu seyn scheint.

864.

Alle Arten von Camayeu, oder Farb' in Farbe,
laufen doch am Ende dahin hinaus, daß ein geforderter
Gegensatz oder irgend eine farbige Wirkung angebracht
wird. So hat Polydor in seinen schwarz und weißen
Frescogemälden ein gelbes Gefäß, oder sonst etwas der
Art eingeführt.

Streben zur Farbe.

862.

Ein Kunſtwerk ſchwarz und weiß kann in der
Malerey ſelten vorkommen. Einige Arbeiten von Po-
lydor geben uns davon Beyſpiele, ſo wie unſre Kup-
ferſtiche und geſchabten Blaͤtter. Dieſe Arten, in ſo-
fern ſie ſich mit Formen und Haltung beſchaͤftigen, ſind
ſchaͤtzenswerth; allein ſie haben wenig Gefaͤlliges fuͤrs
Auge, indem ſie nur durch eine gewaltſame Abſtraction
entſtehen.

863.

Wenn ſich der Kuͤnſtler ſeinem Gefuͤhl uͤberlaͤßt, ſo
meldet ſich etwas farbiges gleich. So bald das Schwarze
ins Blauliche faͤllt, entſteht eine Forderung des Gelben,
das denn der Kuͤnſtler inſtinctmaͤßig vertheilt und theils
rein in den Lichtern, theils geroͤthet und beſchmutzt als
Braun in den Reflexen, zu Belebung des Ganzen an-
bringt, wie es ihm am raͤthlichſten zu ſeyn ſcheint.

864.

Alle Arten von Camayeu, oder Farb’ in Farbe,
laufen doch am Ende dahin hinaus, daß ein geforderter
Gegenſatz oder irgend eine farbige Wirkung angebracht
wird. So hat Polydor in ſeinen ſchwarz und weißen
Frescogemaͤlden ein gelbes Gefaͤß, oder ſonſt etwas der
Art eingefuͤhrt.

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[319/0373] Streben zur Farbe. 862. Ein Kunſtwerk ſchwarz und weiß kann in der Malerey ſelten vorkommen. Einige Arbeiten von Po- lydor geben uns davon Beyſpiele, ſo wie unſre Kup- ferſtiche und geſchabten Blaͤtter. Dieſe Arten, in ſo- fern ſie ſich mit Formen und Haltung beſchaͤftigen, ſind ſchaͤtzenswerth; allein ſie haben wenig Gefaͤlliges fuͤrs Auge, indem ſie nur durch eine gewaltſame Abſtraction entſtehen. 863. Wenn ſich der Kuͤnſtler ſeinem Gefuͤhl uͤberlaͤßt, ſo meldet ſich etwas farbiges gleich. So bald das Schwarze ins Blauliche faͤllt, entſteht eine Forderung des Gelben, das denn der Kuͤnſtler inſtinctmaͤßig vertheilt und theils rein in den Lichtern, theils geroͤthet und beſchmutzt als Braun in den Reflexen, zu Belebung des Ganzen an- bringt, wie es ihm am raͤthlichſten zu ſeyn ſcheint. 864. Alle Arten von Camayeu, oder Farb’ in Farbe, laufen doch am Ende dahin hinaus, daß ein geforderter Gegenſatz oder irgend eine farbige Wirkung angebracht wird. So hat Polydor in ſeinen ſchwarz und weißen Frescogemaͤlden ein gelbes Gefaͤß, oder ſonſt etwas der Art eingefuͤhrt.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/373>, abgerufen am 26.04.2024.