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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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Haltung.

867.

Wenn die Linearperspective die Abstufung der Ge-
genstände in scheinbarer Größe durch Entfernung zeigt;
so läßt uns die Luftperspective die Abstufung der Ge-
genstände in mehr oder minderer Deutlichkeit durch
Entfernung sehen.

868.

Ob wir zwar entfernte Gegenstände nach der Na-
tur unsres Auges nicht so deutlich sehen als nähere;
so ruht doch die Luftperspective eigentlich auf dem wich-
tigen Satz, daß alle durchsichtigen Mittel einigermaßen
trübe sind.

869.

Die Atmosphäre ist also immer mehr oder weniger
trüb. Besonders zeigt sie diese Eigenschaft in den süd-
lichen Gegenden bey hohem Barometerstand, trocknem
Wetter und wolkenlosem Himmel, wo man eine sehr
merkliche Abstufung wenig auseinanderstehender Gegen-
stände beobachten kann.

870.

Im Allgemeinen ist diese Erscheinung jedermann be-
kannt; der Maler hingegen sieht die Abstufung bey den
geringsten Abständen, oder glaubt sie zu sehen. Er

I. 21
Haltung.

867.

Wenn die Linearperſpective die Abſtufung der Ge-
genſtaͤnde in ſcheinbarer Groͤße durch Entfernung zeigt;
ſo laͤßt uns die Luftperſpective die Abſtufung der Ge-
genſtaͤnde in mehr oder minderer Deutlichkeit durch
Entfernung ſehen.

868.

Ob wir zwar entfernte Gegenſtaͤnde nach der Na-
tur unſres Auges nicht ſo deutlich ſehen als naͤhere;
ſo ruht doch die Luftperſpective eigentlich auf dem wich-
tigen Satz, daß alle durchſichtigen Mittel einigermaßen
truͤbe ſind.

869.

Die Atmoſphaͤre iſt alſo immer mehr oder weniger
truͤb. Beſonders zeigt ſie dieſe Eigenſchaft in den ſuͤd-
lichen Gegenden bey hohem Barometerſtand, trocknem
Wetter und wolkenloſem Himmel, wo man eine ſehr
merkliche Abſtufung wenig auseinanderſtehender Gegen-
ſtaͤnde beobachten kann.

870.

Im Allgemeinen iſt dieſe Erſcheinung jedermann be-
kannt; der Maler hingegen ſieht die Abſtufung bey den
geringſten Abſtaͤnden, oder glaubt ſie zu ſehen. Er

I. 21
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[321/0375] Haltung. 867. Wenn die Linearperſpective die Abſtufung der Ge- genſtaͤnde in ſcheinbarer Groͤße durch Entfernung zeigt; ſo laͤßt uns die Luftperſpective die Abſtufung der Ge- genſtaͤnde in mehr oder minderer Deutlichkeit durch Entfernung ſehen. 868. Ob wir zwar entfernte Gegenſtaͤnde nach der Na- tur unſres Auges nicht ſo deutlich ſehen als naͤhere; ſo ruht doch die Luftperſpective eigentlich auf dem wich- tigen Satz, daß alle durchſichtigen Mittel einigermaßen truͤbe ſind. 869. Die Atmoſphaͤre iſt alſo immer mehr oder weniger truͤb. Beſonders zeigt ſie dieſe Eigenſchaft in den ſuͤd- lichen Gegenden bey hohem Barometerſtand, trocknem Wetter und wolkenloſem Himmel, wo man eine ſehr merkliche Abſtufung wenig auseinanderſtehender Gegen- ſtaͤnde beobachten kann. 870. Im Allgemeinen iſt dieſe Erſcheinung jedermann be- kannt; der Maler hingegen ſieht die Abſtufung bey den geringſten Abſtaͤnden, oder glaubt ſie zu ſehen. Er I. 21

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/375>, abgerufen am 27.04.2024.