Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

einigermaßen gefördert würden. Allein das subjective
Bild wird hier so wenig auf seine Anfänge zurückgeführt,
als vorher das objective. Der Beobachter sieht nur das
verlängerte stätig gefärbte Bild, an welchem der violette
Theil abermals der längste bleibt.

95.

Leider verhehlt uns der Verfasser bey dieser Gele-
genheit abermals einen Hauptpunct, daß nehmlich die
Erscheinung geradezu die umgekehrte sey von der, die
wir bisher an der Wand erblickten. Bemerkt man
dieses, so kann man die Frage aufwerfen, was würde
denn geschehen, wenn das Auge sich an die Stelle der
Tafel setzte? würde es denn die Farben in eben der
Ordnung sehen, wie man sie auf der Tafel erblickt,
oder umgekehrt? und wie ist denn eigentlich im Ganzen
das Verhältniß?

96.

Diese Frage ist schon zu Newtons Zeiten aufge-
worfen worden, und es fanden sich Personen, die gegen
ihn behaupteten, das Auge sehe gerade die entgegenge-
setzte Farbe, wenn es hinwärts blicke, von der, welche
herwärts auf die Tafel oder auch auf ein Auge falle,
das sich an die Stelle der Tafel setzte. Newton lehnt
nach seiner Weise diesen Einwurf ab, anstatt ihn zu
heben.

97.

Das wahre Verhältniß aber ist dieses. Beyde
Bilder haben nichts mit einander gemein. Es sind zwey

einigermaßen gefoͤrdert wuͤrden. Allein das ſubjective
Bild wird hier ſo wenig auf ſeine Anfaͤnge zuruͤckgefuͤhrt,
als vorher das objective. Der Beobachter ſieht nur das
verlaͤngerte ſtaͤtig gefaͤrbte Bild, an welchem der violette
Theil abermals der laͤngſte bleibt.

95.

Leider verhehlt uns der Verfaſſer bey dieſer Gele-
genheit abermals einen Hauptpunct, daß nehmlich die
Erſcheinung geradezu die umgekehrte ſey von der, die
wir bisher an der Wand erblickten. Bemerkt man
dieſes, ſo kann man die Frage aufwerfen, was wuͤrde
denn geſchehen, wenn das Auge ſich an die Stelle der
Tafel ſetzte? wuͤrde es denn die Farben in eben der
Ordnung ſehen, wie man ſie auf der Tafel erblickt,
oder umgekehrt? und wie iſt denn eigentlich im Ganzen
das Verhaͤltniß?

96.

Dieſe Frage iſt ſchon zu Newtons Zeiten aufge-
worfen worden, und es fanden ſich Perſonen, die gegen
ihn behaupteten, das Auge ſehe gerade die entgegenge-
ſetzte Farbe, wenn es hinwaͤrts blicke, von der, welche
herwaͤrts auf die Tafel oder auch auf ein Auge falle,
das ſich an die Stelle der Tafel ſetzte. Newton lehnt
nach ſeiner Weiſe dieſen Einwurf ab, anſtatt ihn zu
heben.

97.

Das wahre Verhaͤltniß aber iſt dieſes. Beyde
Bilder haben nichts mit einander gemein. Es ſind zwey

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0463" n="409"/>
einigermaßen gefo&#x0364;rdert wu&#x0364;rden. Allein das &#x017F;ubjective<lb/>
Bild wird hier &#x017F;o wenig auf &#x017F;eine Anfa&#x0364;nge zuru&#x0364;ckgefu&#x0364;hrt,<lb/>
als vorher das objective. Der Beobachter &#x017F;ieht nur das<lb/>
verla&#x0364;ngerte &#x017F;ta&#x0364;tig gefa&#x0364;rbte Bild, an welchem der violette<lb/>
Theil abermals der la&#x0364;ng&#x017F;te bleibt.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>95.</head><lb/>
                <p>Leider verhehlt uns der Verfa&#x017F;&#x017F;er bey die&#x017F;er Gele-<lb/>
genheit abermals einen Hauptpunct, daß nehmlich die<lb/>
Er&#x017F;cheinung geradezu die umgekehrte &#x017F;ey von der, die<lb/>
wir bisher an der Wand erblickten. Bemerkt man<lb/>
die&#x017F;es, &#x017F;o kann man die Frage aufwerfen, was wu&#x0364;rde<lb/>
denn ge&#x017F;chehen, wenn das Auge &#x017F;ich an die Stelle der<lb/>
Tafel &#x017F;etzte? wu&#x0364;rde es denn die Farben in eben der<lb/>
Ordnung &#x017F;ehen, wie man &#x017F;ie auf der Tafel erblickt,<lb/>
oder umgekehrt? und wie i&#x017F;t denn eigentlich im Ganzen<lb/>
das Verha&#x0364;ltniß?</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>96.</head><lb/>
                <p>Die&#x017F;e Frage i&#x017F;t &#x017F;chon zu Newtons Zeiten aufge-<lb/>
worfen worden, und es fanden &#x017F;ich Per&#x017F;onen, die gegen<lb/>
ihn behaupteten, das Auge &#x017F;ehe gerade die entgegenge-<lb/>
&#x017F;etzte Farbe, wenn es hinwa&#x0364;rts blicke, von der, welche<lb/>
herwa&#x0364;rts auf die Tafel oder auch auf ein Auge falle,<lb/>
das &#x017F;ich an die Stelle der Tafel &#x017F;etzte. Newton lehnt<lb/>
nach &#x017F;einer Wei&#x017F;e die&#x017F;en Einwurf ab, an&#x017F;tatt ihn zu<lb/>
heben.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>97.</head><lb/>
                <p>Das wahre Verha&#x0364;ltniß aber i&#x017F;t die&#x017F;es. Beyde<lb/>
Bilder haben nichts mit einander gemein. Es &#x017F;ind zwey<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[409/0463] einigermaßen gefoͤrdert wuͤrden. Allein das ſubjective Bild wird hier ſo wenig auf ſeine Anfaͤnge zuruͤckgefuͤhrt, als vorher das objective. Der Beobachter ſieht nur das verlaͤngerte ſtaͤtig gefaͤrbte Bild, an welchem der violette Theil abermals der laͤngſte bleibt. 95. Leider verhehlt uns der Verfaſſer bey dieſer Gele- genheit abermals einen Hauptpunct, daß nehmlich die Erſcheinung geradezu die umgekehrte ſey von der, die wir bisher an der Wand erblickten. Bemerkt man dieſes, ſo kann man die Frage aufwerfen, was wuͤrde denn geſchehen, wenn das Auge ſich an die Stelle der Tafel ſetzte? wuͤrde es denn die Farben in eben der Ordnung ſehen, wie man ſie auf der Tafel erblickt, oder umgekehrt? und wie iſt denn eigentlich im Ganzen das Verhaͤltniß? 96. Dieſe Frage iſt ſchon zu Newtons Zeiten aufge- worfen worden, und es fanden ſich Perſonen, die gegen ihn behaupteten, das Auge ſehe gerade die entgegenge- ſetzte Farbe, wenn es hinwaͤrts blicke, von der, welche herwaͤrts auf die Tafel oder auch auf ein Auge falle, das ſich an die Stelle der Tafel ſetzte. Newton lehnt nach ſeiner Weiſe dieſen Einwurf ab, anſtatt ihn zu heben. 97. Das wahre Verhaͤltniß aber iſt dieſes. Beyde Bilder haben nichts mit einander gemein. Es ſind zwey

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/463
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/463>, abgerufen am 26.04.2024.