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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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cher Nähe betrachtet; so verläßt die Farbe das Papier
nicht, vielmehr wird sie an dem obern Rande sehr viel
lebhafter. Woher entspringt aber diese lebhaftere Farbe?
Blos daher, weil der Streifen nunmehr als ein helles
rothes Bild winkt, welches durch die subjective Bre-
chung oben einen gleichnamigen Rand gewinnt, und
also erhöht an Farbe erscheint. Ganz anders verhält
sichs, wenn der Streifen mit dem violetten Theile des
Bildes erleuchtet wird. Durch die subjective Wirkung
zieht sich zwar die violette Farbe von dem Streifen
weg, (148. 149.) aber die Hellung bleibt ihm einigerma-
ßen. Dadurch erscheint er in der dunklen Kammer, wie
ein weißer Streif auf schwarzem Grunde und färbt sich
nach dem bekannten Gesetz, indessen das herabgesunkene
violette Schemen dem Auge gleichfalls ganz deutlich
vorschwebt. Hier ist die Natur abermals durchaus con-
sequent, und wer unsern didactischen und polemischen
Darstellungen gefolgt ist, wird hieran nicht wenig Ver-
gnügen finden. Ein Gleiches bemerkt man bey dem
Versuche VII d.

159.

Eben so verhält es sich in dem oben beschriebe-
nen Falle, (144) da wir die einzelnen übereinan-
der erscheinenden farbigen Bilder subjectiv herabziehen.
Die farbigen Schemen sind es nur, die den Platz ver-
lassen, aber die Hellung, die sie auf der weißen Tafel
erregt haben, kann nicht aufgehoben werden. Diese
farblosen hellen zurückbleibenden Bilder werden nunmehr
nach den bekannten subjectiven Gesetzen gefärbt und

cher Naͤhe betrachtet; ſo verlaͤßt die Farbe das Papier
nicht, vielmehr wird ſie an dem obern Rande ſehr viel
lebhafter. Woher entſpringt aber dieſe lebhaftere Farbe?
Blos daher, weil der Streifen nunmehr als ein helles
rothes Bild winkt, welches durch die ſubjective Bre-
chung oben einen gleichnamigen Rand gewinnt, und
alſo erhoͤht an Farbe erſcheint. Ganz anders verhaͤlt
ſichs, wenn der Streifen mit dem violetten Theile des
Bildes erleuchtet wird. Durch die ſubjective Wirkung
zieht ſich zwar die violette Farbe von dem Streifen
weg, (148. 149.) aber die Hellung bleibt ihm einigerma-
ßen. Dadurch erſcheint er in der dunklen Kammer, wie
ein weißer Streif auf ſchwarzem Grunde und faͤrbt ſich
nach dem bekannten Geſetz, indeſſen das herabgeſunkene
violette Schemen dem Auge gleichfalls ganz deutlich
vorſchwebt. Hier iſt die Natur abermals durchaus con-
ſequent, und wer unſern didactiſchen und polemiſchen
Darſtellungen gefolgt iſt, wird hieran nicht wenig Ver-
gnuͤgen finden. Ein Gleiches bemerkt man bey dem
Verſuche VII d.

159.

Eben ſo verhaͤlt es ſich in dem oben beſchriebe-
nen Falle, (144) da wir die einzelnen uͤbereinan-
der erſcheinenden farbigen Bilder ſubjectiv herabziehen.
Die farbigen Schemen ſind es nur, die den Platz ver-
laſſen, aber die Hellung, die ſie auf der weißen Tafel
erregt haben, kann nicht aufgehoben werden. Dieſe
farbloſen hellen zuruͤckbleibenden Bilder werden nunmehr
nach den bekannten ſubjectiven Geſetzen gefaͤrbt und

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[448/0502] cher Naͤhe betrachtet; ſo verlaͤßt die Farbe das Papier nicht, vielmehr wird ſie an dem obern Rande ſehr viel lebhafter. Woher entſpringt aber dieſe lebhaftere Farbe? Blos daher, weil der Streifen nunmehr als ein helles rothes Bild winkt, welches durch die ſubjective Bre- chung oben einen gleichnamigen Rand gewinnt, und alſo erhoͤht an Farbe erſcheint. Ganz anders verhaͤlt ſichs, wenn der Streifen mit dem violetten Theile des Bildes erleuchtet wird. Durch die ſubjective Wirkung zieht ſich zwar die violette Farbe von dem Streifen weg, (148. 149.) aber die Hellung bleibt ihm einigerma- ßen. Dadurch erſcheint er in der dunklen Kammer, wie ein weißer Streif auf ſchwarzem Grunde und faͤrbt ſich nach dem bekannten Geſetz, indeſſen das herabgeſunkene violette Schemen dem Auge gleichfalls ganz deutlich vorſchwebt. Hier iſt die Natur abermals durchaus con- ſequent, und wer unſern didactiſchen und polemiſchen Darſtellungen gefolgt iſt, wird hieran nicht wenig Ver- gnuͤgen finden. Ein Gleiches bemerkt man bey dem Verſuche VII d. 159. Eben ſo verhaͤlt es ſich in dem oben beſchriebe- nen Falle, (144) da wir die einzelnen uͤbereinan- der erſcheinenden farbigen Bilder ſubjectiv herabziehen. Die farbigen Schemen ſind es nur, die den Platz ver- laſſen, aber die Hellung, die ſie auf der weißen Tafel erregt haben, kann nicht aufgehoben werden. Dieſe farbloſen hellen zuruͤckbleibenden Bilder werden nunmehr nach den bekannten ſubjectiven Geſetzen gefaͤrbt und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/502>, abgerufen am 26.04.2024.