Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Recapitulation geschieht, so läßt sich denken, daß nur
dasjenige wiederholt wird, was schon dagewesen. Woll-
ten wir, wie bisher meist geschehen, Wort vor Wort
mit dem Verfasser controvertiren; so würden wir uns
auch nur wiederholen müssen und unsern Leser aufs
neue in ein Labyrinth führen, aus dem er sich schon
mit uns herausgewickelt hat. Wir erwählen daher eine
andere Verfahrungsart; wir gedenken zu zeigen, daß
jene Aufgabe unmöglich zu lösen sey, und brauchen
hiezu nur an das zu erinnern, was von uns schon an
mehreren Stellen, besonders zum fünften Versuch, um-
ständlich ausgeführt worden.

241.

Alles kommt darauf an, daß man einsehe, die
Sonne sey bey objectiven prismatischen Experimenten
nur als ein leuchtendes Bild zu betrachten; daß man
ferner gegenwärtig habe, was vorgeht, wenn ein helles
Bild verrückt wird. An der einen Seite erscheint näm-
lich der gelbrothe Rand, der sich hineinwärts, nach
dem Hellen zu, ins Gelbe verliert, an der andern der
blaue Rand, der sich hinauswärts, nach dem Dunkeln
zu, ins Violette verliert.

242.

Diese beyden farbigen Seiten sind ursprünglich ge-
trennt, gesondert und geschieden; dagegen ist das Gel-
be nicht vom Gelbrothen, das Blaue nicht vom Blau-
rothen zu trennen. Verbreitert man durch weitere Ver-

Recapitulation geſchieht, ſo laͤßt ſich denken, daß nur
dasjenige wiederholt wird, was ſchon dageweſen. Woll-
ten wir, wie bisher meiſt geſchehen, Wort vor Wort
mit dem Verfaſſer controvertiren; ſo wuͤrden wir uns
auch nur wiederholen muͤſſen und unſern Leſer aufs
neue in ein Labyrinth fuͤhren, aus dem er ſich ſchon
mit uns herausgewickelt hat. Wir erwaͤhlen daher eine
andere Verfahrungsart; wir gedenken zu zeigen, daß
jene Aufgabe unmoͤglich zu loͤſen ſey, und brauchen
hiezu nur an das zu erinnern, was von uns ſchon an
mehreren Stellen, beſonders zum fuͤnften Verſuch, um-
ſtaͤndlich ausgefuͤhrt worden.

241.

Alles kommt darauf an, daß man einſehe, die
Sonne ſey bey objectiven prismatiſchen Experimenten
nur als ein leuchtendes Bild zu betrachten; daß man
ferner gegenwaͤrtig habe, was vorgeht, wenn ein helles
Bild verruͤckt wird. An der einen Seite erſcheint naͤm-
lich der gelbrothe Rand, der ſich hineinwaͤrts, nach
dem Hellen zu, ins Gelbe verliert, an der andern der
blaue Rand, der ſich hinauswaͤrts, nach dem Dunkeln
zu, ins Violette verliert.

242.

Dieſe beyden farbigen Seiten ſind urſpruͤnglich ge-
trennt, geſondert und geſchieden; dagegen iſt das Gel-
be nicht vom Gelbrothen, das Blaue nicht vom Blau-
rothen zu trennen. Verbreitert man durch weitere Ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0543" n="489"/>
Recapitulation ge&#x017F;chieht, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich denken, daß nur<lb/>
dasjenige wiederholt wird, was &#x017F;chon dagewe&#x017F;en. Woll-<lb/>
ten wir, wie bisher mei&#x017F;t ge&#x017F;chehen, Wort vor Wort<lb/>
mit dem Verfa&#x017F;&#x017F;er controvertiren; &#x017F;o wu&#x0364;rden wir uns<lb/>
auch nur wiederholen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en und un&#x017F;ern Le&#x017F;er aufs<lb/>
neue in ein Labyrinth fu&#x0364;hren, aus dem er &#x017F;ich &#x017F;chon<lb/>
mit uns herausgewickelt hat. Wir erwa&#x0364;hlen daher eine<lb/>
andere Verfahrungsart; wir gedenken zu zeigen, daß<lb/>
jene Aufgabe unmo&#x0364;glich zu lo&#x0364;&#x017F;en &#x017F;ey, und brauchen<lb/>
hiezu nur an das zu erinnern, was von uns &#x017F;chon an<lb/>
mehreren Stellen, be&#x017F;onders zum fu&#x0364;nften Ver&#x017F;uch, um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndlich ausgefu&#x0364;hrt worden.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>241.</head><lb/>
                <p>Alles kommt darauf an, daß man ein&#x017F;ehe, die<lb/>
Sonne &#x017F;ey bey objectiven prismati&#x017F;chen Experimenten<lb/>
nur als ein leuchtendes Bild zu betrachten; daß man<lb/>
ferner gegenwa&#x0364;rtig habe, was vorgeht, wenn ein helles<lb/>
Bild verru&#x0364;ckt wird. An der einen Seite er&#x017F;cheint na&#x0364;m-<lb/>
lich der gelbrothe Rand, der &#x017F;ich hineinwa&#x0364;rts, nach<lb/>
dem Hellen zu, ins Gelbe verliert, an der andern der<lb/>
blaue Rand, der &#x017F;ich hinauswa&#x0364;rts, nach dem Dunkeln<lb/>
zu, ins Violette verliert.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>242.</head><lb/>
                <p>Die&#x017F;e beyden farbigen Seiten &#x017F;ind ur&#x017F;pru&#x0364;nglich ge-<lb/>
trennt, ge&#x017F;ondert und ge&#x017F;chieden; dagegen i&#x017F;t das Gel-<lb/>
be nicht vom Gelbrothen, das Blaue nicht vom Blau-<lb/>
rothen zu trennen. Verbreitert man durch weitere Ver-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[489/0543] Recapitulation geſchieht, ſo laͤßt ſich denken, daß nur dasjenige wiederholt wird, was ſchon dageweſen. Woll- ten wir, wie bisher meiſt geſchehen, Wort vor Wort mit dem Verfaſſer controvertiren; ſo wuͤrden wir uns auch nur wiederholen muͤſſen und unſern Leſer aufs neue in ein Labyrinth fuͤhren, aus dem er ſich ſchon mit uns herausgewickelt hat. Wir erwaͤhlen daher eine andere Verfahrungsart; wir gedenken zu zeigen, daß jene Aufgabe unmoͤglich zu loͤſen ſey, und brauchen hiezu nur an das zu erinnern, was von uns ſchon an mehreren Stellen, beſonders zum fuͤnften Verſuch, um- ſtaͤndlich ausgefuͤhrt worden. 241. Alles kommt darauf an, daß man einſehe, die Sonne ſey bey objectiven prismatiſchen Experimenten nur als ein leuchtendes Bild zu betrachten; daß man ferner gegenwaͤrtig habe, was vorgeht, wenn ein helles Bild verruͤckt wird. An der einen Seite erſcheint naͤm- lich der gelbrothe Rand, der ſich hineinwaͤrts, nach dem Hellen zu, ins Gelbe verliert, an der andern der blaue Rand, der ſich hinauswaͤrts, nach dem Dunkeln zu, ins Violette verliert. 242. Dieſe beyden farbigen Seiten ſind urſpruͤnglich ge- trennt, geſondert und geſchieden; dagegen iſt das Gel- be nicht vom Gelbrothen, das Blaue nicht vom Blau- rothen zu trennen. Verbreitert man durch weitere Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/543
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/543>, abgerufen am 27.04.2024.