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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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16.

Ein dunkler Gegenstand erscheint kleiner, als ein hel-
ler von derselben Größe. Man sehe zugleich eine weiße
Rundung auf schwarzem, eine schwarze auf weißem
Grunde, welche nach einerley Zirkelschlag ausgeschnitten
sind, in einiger Entfernung an, und wir werden die
letztere etwa um ein Fünftel kleiner, als die erste halten.
Man mache das schwarze Bild um soviel größer, und
sie werden gleich erscheinen.

17.

So bemerkte Tycho de Brahe, daß der Mond in
der Conjunction (der finstere) um den fünften Theil klei-
ner erscheine, als in der Opposition (der volle helle).
Die erste Mondsichel scheint einer größern Scheibe anzu-
gehören, als der an sie gränzenden dunkeln, die man
zur Zeit des Neulichtes manchmal unterscheiden kann.
Schwarze Kleider machen die Personen viel schmäler aus-
sehen, als helle. Hinter einem Rand gesehene Lichter
machen in den Rand einen scheinbaren Einschnitt. Ein
Lineal, hinter welchem ein Kerzenlicht hervorblickt, hat
für uns eine Scharte. Die auf- und untergehende Son-
ne scheint einen Einschnitt in den Horizont zu machen.

18.

Das Schwarze, als Repräsentant der Finsterniß,
läßt das Organ im Zustande der Ruhe, das Weiße,
als Stellvertreter des Lichts, versetzt es in Thätigkeit.
Man schlösse vielleicht aus gedachtem Phänomen (16),
daß die ruhige Netzhaut, wenn sie sich selbst überlassen

16.

Ein dunkler Gegenſtand erſcheint kleiner, als ein hel-
ler von derſelben Groͤße. Man ſehe zugleich eine weiße
Rundung auf ſchwarzem, eine ſchwarze auf weißem
Grunde, welche nach einerley Zirkelſchlag ausgeſchnitten
ſind, in einiger Entfernung an, und wir werden die
letztere etwa um ein Fuͤnftel kleiner, als die erſte halten.
Man mache das ſchwarze Bild um ſoviel groͤßer, und
ſie werden gleich erſcheinen.

17.

So bemerkte Tycho de Brahe, daß der Mond in
der Conjunction (der finſtere) um den fuͤnften Theil klei-
ner erſcheine, als in der Oppoſition (der volle helle).
Die erſte Mondſichel ſcheint einer groͤßern Scheibe anzu-
gehoͤren, als der an ſie graͤnzenden dunkeln, die man
zur Zeit des Neulichtes manchmal unterſcheiden kann.
Schwarze Kleider machen die Perſonen viel ſchmaͤler aus-
ſehen, als helle. Hinter einem Rand geſehene Lichter
machen in den Rand einen ſcheinbaren Einſchnitt. Ein
Lineal, hinter welchem ein Kerzenlicht hervorblickt, hat
fuͤr uns eine Scharte. Die auf- und untergehende Son-
ne ſcheint einen Einſchnitt in den Horizont zu machen.

18.

Das Schwarze, als Repraͤſentant der Finſterniß,
laͤßt das Organ im Zuſtande der Ruhe, das Weiße,
als Stellvertreter des Lichts, verſetzt es in Thaͤtigkeit.
Man ſchloͤſſe vielleicht aus gedachtem Phaͤnomen (16),
daß die ruhige Netzhaut, wenn ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen

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[6/0060] 16. Ein dunkler Gegenſtand erſcheint kleiner, als ein hel- ler von derſelben Groͤße. Man ſehe zugleich eine weiße Rundung auf ſchwarzem, eine ſchwarze auf weißem Grunde, welche nach einerley Zirkelſchlag ausgeſchnitten ſind, in einiger Entfernung an, und wir werden die letztere etwa um ein Fuͤnftel kleiner, als die erſte halten. Man mache das ſchwarze Bild um ſoviel groͤßer, und ſie werden gleich erſcheinen. 17. So bemerkte Tycho de Brahe, daß der Mond in der Conjunction (der finſtere) um den fuͤnften Theil klei- ner erſcheine, als in der Oppoſition (der volle helle). Die erſte Mondſichel ſcheint einer groͤßern Scheibe anzu- gehoͤren, als der an ſie graͤnzenden dunkeln, die man zur Zeit des Neulichtes manchmal unterſcheiden kann. Schwarze Kleider machen die Perſonen viel ſchmaͤler aus- ſehen, als helle. Hinter einem Rand geſehene Lichter machen in den Rand einen ſcheinbaren Einſchnitt. Ein Lineal, hinter welchem ein Kerzenlicht hervorblickt, hat fuͤr uns eine Scharte. Die auf- und untergehende Son- ne ſcheint einen Einſchnitt in den Horizont zu machen. 18. Das Schwarze, als Repraͤſentant der Finſterniß, laͤßt das Organ im Zuſtande der Ruhe, das Weiße, als Stellvertreter des Lichts, verſetzt es in Thaͤtigkeit. Man ſchloͤſſe vielleicht aus gedachtem Phaͤnomen (16), daß die ruhige Netzhaut, wenn ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/60>, abgerufen am 26.04.2024.