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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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aus Einer Art Strahlen bestünde, nur Eine Farbe in der gan-
zen Welt seyn würde. Auch wird es nicht möglich seyn irgend
eine neue Farbe durch Reflexionen und Refractionen hervorzu-
bringen, und folglich hängt die Verschiedenheit der Farben
von der Zusammensetzung des Lichtes ab.

455.

Unsre Leser welche einsehen, wie es mit den Prä-
missen steht, werden die Schlußfolge von selbst wür-
digen können.


Definition.

456.

Das homogene Licht, die homogenen Strahlen, welche
roth erscheinen oder vielmehr die Gegenstände so erscheinen
machen, nenne ich rubrifik oder rothmachend, diejenigen durch
welche die Gegenstände gelb, grün, blau, violett erscheinen,
nenne ich gelbmachend, grünmachend, blaumachend, violett-
machend und so mit den übrigen. Denn, wenn ich manchmal
von Licht und Strahlen rede, als wenn sie gefärbt oder von
Farben durchdrungen wären, so will ich dieses nicht philoso-
phisch und eigentlich gesagt haben; sondern auf gemeine Weise,
nach solchen Begriffen wie das gemeine Volk, wenn es diese
Experimente sähe, sie sich vorstellen könnte. Denn, eigentlich
zu reden, sind die Strahlen nicht farbig, es ist nichts darin
als eine gewisse Kraft und Disposition das Gefühl dieser oder
jener Farbe zu erregen: denn wie der Klang einer Glocke, ei-
ner Musiksaite, eines andern klingenden Körpes nichts als

aus Einer Art Strahlen beſtuͤnde, nur Eine Farbe in der gan-
zen Welt ſeyn wuͤrde. Auch wird es nicht moͤglich ſeyn irgend
eine neue Farbe durch Reflexionen und Refractionen hervorzu-
bringen, und folglich haͤngt die Verſchiedenheit der Farben
von der Zuſammenſetzung des Lichtes ab.

455.

Unſre Leſer welche einſehen, wie es mit den Praͤ-
miſſen ſteht, werden die Schlußfolge von ſelbſt wuͤr-
digen koͤnnen.


Definition.

456.

Das homogene Licht, die homogenen Strahlen, welche
roth erſcheinen oder vielmehr die Gegenſtaͤnde ſo erſcheinen
machen, nenne ich rubrifik oder rothmachend, diejenigen durch
welche die Gegenſtaͤnde gelb, gruͤn, blau, violett erſcheinen,
nenne ich gelbmachend, gruͤnmachend, blaumachend, violett-
machend und ſo mit den uͤbrigen. Denn, wenn ich manchmal
von Licht und Strahlen rede, als wenn ſie gefaͤrbt oder von
Farben durchdrungen waͤren, ſo will ich dieſes nicht philoſo-
phiſch und eigentlich geſagt haben; ſondern auf gemeine Weiſe,
nach ſolchen Begriffen wie das gemeine Volk, wenn es dieſe
Experimente ſaͤhe, ſie ſich vorſtellen koͤnnte. Denn, eigentlich
zu reden, ſind die Strahlen nicht farbig, es iſt nichts darin
als eine gewiſſe Kraft und Dispoſition das Gefuͤhl dieſer oder
jener Farbe zu erregen: denn wie der Klang einer Glocke, ei-
ner Muſikſaite, eines andern klingenden Koͤrpes nichts als

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[559/0613] aus Einer Art Strahlen beſtuͤnde, nur Eine Farbe in der gan- zen Welt ſeyn wuͤrde. Auch wird es nicht moͤglich ſeyn irgend eine neue Farbe durch Reflexionen und Refractionen hervorzu- bringen, und folglich haͤngt die Verſchiedenheit der Farben von der Zuſammenſetzung des Lichtes ab. 455. Unſre Leſer welche einſehen, wie es mit den Praͤ- miſſen ſteht, werden die Schlußfolge von ſelbſt wuͤr- digen koͤnnen. Definition. 456. Das homogene Licht, die homogenen Strahlen, welche roth erſcheinen oder vielmehr die Gegenſtaͤnde ſo erſcheinen machen, nenne ich rubrifik oder rothmachend, diejenigen durch welche die Gegenſtaͤnde gelb, gruͤn, blau, violett erſcheinen, nenne ich gelbmachend, gruͤnmachend, blaumachend, violett- machend und ſo mit den uͤbrigen. Denn, wenn ich manchmal von Licht und Strahlen rede, als wenn ſie gefaͤrbt oder von Farben durchdrungen waͤren, ſo will ich dieſes nicht philoſo- phiſch und eigentlich geſagt haben; ſondern auf gemeine Weiſe, nach ſolchen Begriffen wie das gemeine Volk, wenn es dieſe Experimente ſaͤhe, ſie ſich vorſtellen koͤnnte. Denn, eigentlich zu reden, ſind die Strahlen nicht farbig, es iſt nichts darin als eine gewiſſe Kraft und Dispoſition das Gefuͤhl dieſer oder jener Farbe zu erregen: denn wie der Klang einer Glocke, ei- ner Muſikſaite, eines andern klingenden Koͤrpes nichts als

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/613>, abgerufen am 26.04.2024.